ANAHATA SHABDA - Der Klang der Ewigkeit in deinem Herzen

06.06.2014


ANAHATA SHABDA - Der Klang der Ewigkeit in deinem Herzen

 

Vermutlich habt ihr bereits bemerkt, dass ich einen Hang zur Poesie habe. Das hat sowohl mit meiner wissenschaftlichen Arbeit über, als auch meiner persönlichen spirituellen Erfahrung mit den Gedichten der mittelalterlichen Yogis, Mystiker und Dichter-Heiligen Indiens zu tun.

Ganz allgemein gesprochen sind Gedichte dazu geeignet, Ur-Bilder, längst vergessene Erfahrungen und tiefe Erkenntnisse aus unserem Inneren hoch zu holen. Lässt man sich auf diesen Prozess und seine Wirkung ein, kann dies Erstaunliches auslösen. Das gilt im Besonderen für die Poesie jener, die von der Erfahrung der Unendlichkeit inspiriert waren. Die Kraft ihrer eigenen Erfahrung ist auf geradezu magische Weise mit ihren Werken verwoben. Sie überträgt sich auf den Leser bzw. Hörer, und lässt so die eigene Erfahrung der höchsten Liebe und Einheit mit dem Unendlichen aus dem Inneren empor steigen.

Im Folgenden möchte ich euch daher mit den Werken zwei der berühmtesten mystischen Dichter des Orients vertraut machen – Kabir und Rumi. Und zwar im Zusammenhang mit einem auch und gerade im Yoga und Tantra überaus bedeutungsvollen Thema, dass sie zu Brüdern im Geiste macht, obgleich sie hinsichtlich ihres Hintergrundes – Erziehung, Kultur, Lehrtradition – sehr verschieden waren.

Was Kabir und Rumi eint ist die Quelle, der Ursprung, ihrer Dichtung. Die Rede ist von der göttlichen inneren Erfahrung, und zwar in Form „des göttlichen Klanges, der Stimme Gottes“. Diese innere Erfahrung ist jedoch nicht nur Ausgangspunkt, sondern häufig auch Objekt und Thema ihres dichterischen Schaffens. Und so finden wir, dass sich beide in vielen ihrer Gedichte der mystischen Erfahrung innerer Welten – insbesondere der des göttlichen Klanges im Inneren – widmen.

Kabir nennt diesen Klang bzw. diese Schwingung Anahata Nada, wörtlich (an-aa-hata) den „unangeschlagenen oder unerzeugten Ton (im Herzen)“. Als vollendeter Groß-Meister des tantrischen Kundalini-Yoga beschreibt er diesen Klang als den „Namen Gottes“, die „Melodie des Ewigen“, die allumfassende Gesamtheit aller Klänge, die Schwingungs-Matrix der gesamten Schöpfung. Die unmittelbare Wahrnehmung dieser Urschwingung findet sich in den Werken vieler Yoga-Meister und Mystiker beschrieben – übrigens auch bei den abendländisch-christlichen Mystikern, wie zum Beispiel Theresa von Avila, Hildegard von Bingen oder Mechthild von Magdeburg – und so wundert es nicht, dass wir hierzu auch bei Rumi fündig werden.

Rumi nennt diesen Klang Sama, ein Begriff, der aus der Tradition des Sufi-Tanzes stammt. Die Bedeutung von Sama ist „das Hören des Göttlichen Klanges“. Ein bei Rumi häufig verwendetes Symbol für diesen Klang ist die der indischen Bansuri nicht unähnlichen Rohrflöte, im Persischen Neye genannt. Im Einklang mit der Sufi-Tradition steht bei Rumi die sehnsuchtsvoll-klagende Melodie der Neye für den Ruf der Seele, die erfüllt ist vom Verlangen, nach Gott zurück zu kehren.

Hier nun zwei Beispiele, die ihr nicht nur mit euren Augen und eurem Verstand lesen solltet... sondern mit eurem - wie die indischen Mystiker und Yogis das nennen - Inneren Herzen:

 Rumi ---

Durch Deine Stimme trat das Sein ins Leben.

Du bist der Trompete Klang an Jüngsten Tag ...

Ich hörte, viele gaben ihr Leben,

um der Schönheit von Davids lieblicher Stimme willen.

O Herr, Deine Stimme ist nicht wie die von David.

Durch die seine sind Menschen gestorben.

Aber durch Deine Melodie wurden sie lebendig.

Dieser unangeschlagene Ton entsteht nicht in der Kehle.

Er ist ein Magnet, der Tausende Liebende an sich zieht.

Mein Herz, sei ehrlich, wo hast du letzte Nacht Wein getrunken,

dass du seit dem Morgengrauen so leidenschaftlich singst?

Dieses Singen und dieser unangeschlagene Ton,

die vom Wein der Vereinigung hervorgerufen werden,

entstehen aus dem göttlichen Geist

und nicht aus diesem Körper.

Der göttliche Geist streckte seine Arme nach dir aus,

wenn du nicht an den Körper gefesselt bist.

Wer also guten Samen sät,

wird keine schlechte Frucht ernten.

Sein innerstes Sein ist nicht diese äußerliche Sprache.

Schweig also still!

Damit Er sich durch Seine stumme Sprache offenbaren möge.

 

Kabir ---

Unaufhörlich ertönt die Musik des Namen Gottes.

Niemand hat das wahre Mysterium Seines Namens begriffen.

Frei von Hunger, frei von Durst, frei von allen Merkmalen,

ist er in jeder Form gegenwärtig.

Unaufhörlich ertönt der Name Gottes.

Unerreichbar für die Schriften,

jenseits aller gelehrten Debatten,

ist er frei von Tugend und Sünde.

Er ertönt in jeder Form.

Jenseits des Verstandes,

jenseits aller Überlegung,

überschreitet Er alle Grenzen

des Greifbaren und der Leere.

Unerreichbar durch rituelle Gewänder,

unerreichbar durch Bitten,

frei von allen Formen und Gestalten,

entzieht er sich der Heuchelei,

wie auch der Frömmigkeit.

Weit über die Bereiche der drei Welten hinaus,

unsichtbar und unbeschreiblich

ist diese einzigartige Wahrheit - oh Kabir -

in jeder Form gegenwärtig.

Unaufhörlich ertönt die Musik des Namen Gottes.

 

Weitere Informationen zu Rumi und Kabir und natürlich noch mehr Gedichte zum Thema Anahata-Shabda in Teil 2  ........