AUS AKTUELLEM ANLASS – Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –1 (3)

29.08.2014

 

AUS AKTUELLEM ANLASS - Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –1 (3)

 

Was hat unser Yoga-Weg mit unserer Haltung gegenüber dieser Welt und den darin stattfindenden Ereignissen und existierenden Lebewesen zu tun? Die Antwort ist recht einfach: Auch wenn unser Ziel eine höhere und weitere Sicht auf uns selbst und die Welt um uns herum ist, bedeutet das nicht, dass uns diese Welt egal sein kann. Diese Welt ist nichts Negatives, das wir überwinden müssten. Denn nach den Lehren der alten Weisen und Meister sind wir nicht einfach ein unbedeutender Teil, ein winziges Fragment, dieser Welt. Wir sind vollkommen eins mit dieser Welt - so wie das Göttliche eins ist mit seiner Schöpfung. Folglich sind wir mitverantwortlich, die Schöpfung - unseren erweiterten Körper - zu bewahren und in einem guten Zustand für uns selbst und spätere „Reisende“ zu hinterlassen.

Wie wir diese Aufgabe – die Teil unserer Yoga-Sadhana ist – auch gegen scheinbar unüberwindbare Widerstände und mit Gewinn für unsere persönliche Entwicklung bewerkstelligen können, zeigte kaum jemand klarer und kraftvoller als Mahatma Gandhi. Bei seinem „Kampf“ um Frieden und Unabhängigkeit kam ihm erstaunlicherweise ein Werk zu Hilfe, das auf dem Hintergrund eines grausamen Krieges spielt – Die Bhagavad Gita. Könnte dann dieses Werk und seine Lehren eventuell auch uns eine Inspiration bei der Lösung aktueller Konflikte in der Welt sein? Hierzu sollten wir uns Gandhis Beziehung zu diesem Werk einmal aus der Nähe betrachten.

Es gibt wohl kaum ein spirituelles Buch in der Welt, welches bei seinen Lesern und Kennern derartig hohes Ansehen genießt, wie die Bhagavad Gita – der „Gesang des Erhabenen“, die Lehre von der menschlichen Vollkommenheit als Ausdruck des göttlichen Bewusstseins, der Identität von Tropfen und Ozean. Sie fand begeisterte Aufnahme, und viele zeitgenössische Gelehrte verbreiteten sie in der Öffentlichkeit. Wilhelm von Humboldt zum Beispiel sagte über die Bhagavad Gita „Ich danke Gott, dass er mich so lange hat leben lassen, um dieses Buch kennenzulernen, das schönste, ja vielleicht das einzige wahrhaft philosophische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben.“

Doch für niemandem bildet dieses Werk eine solch elementare Grundlage für sein Schaffen und Wirken, wie für Mahatma Gandhi. So schrieb er:

„In der Bhagavad Gita finde ich einen Trost, den ich selbst in der Bergpredigt vermisse. Wenn mir manchmal die Enttäuschung ins Antlitz starrt, wenn ich verlassen, keinen Lichtstrahl erblicke, greife ich zur Bhagavad Gita. Dann finde ich hier und dort eine Strophe und beginne zu lächeln, inmitten aller Tragödien, und mein Leben ist voll von Tragödien gewesen. Wenn sie alle keine sichtbaren Wunden auf mir hinterlassen haben, verdanke ich dies den Lehren der Gita.“

Die Bhagavad Gita spielt in Mahatma Gandhis Leben eine ganz außerordentliche Rolle. Ihre Lektüre war ihm ein Trostspender während seiner zahlreichen Gefängnisaufenthalte, moralische Stütze in seinem Kampf und darüber hinaus auch Yoga-Übung, da er sie in seinen Ashrams regelmäßig rezitierte und rezitieren ließ. Interessanterweise entdeckte er sie für sich nicht in seinem Heimatland, sondern 1889 in England, wo er Rechtswissenschaften studierte. Ihre Entdeckung markiert einen bedeutenden Wendepunkt in seinem Leben, den wahren Beginn seiner spirituellen Sadhana.

Für Mahatma Gandhi war, wie er schrieb, die Bhagavad Gita kein historisches sondern ein religiöses Werk. Dabei werde der Krieg – der im Epos „Mahabharata“ (in dem die Gita enthalten ist) das zentrale Ereignis bildet – verwendet, um „den Krieg, der sich in unserem Körper zwischen den Mächten des Guten (Pandavas) und den Mächten des Bösen (Kauravas) abspielt,“ darzustellen.

Gandhi interpretierte also die Bhagavad Gita als Allegorie des ewigen Kampfes im Inneren des Menschen. Hierbei steht das Schlachtfeld „Kurukshetra“ metaphorisch für das menschliche Gewissen, das jeden von uns zu Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit aufruft – in einer erbarmungslosen, täglichen Schlacht zwischen unserem höheren und unserem niederen Selbst. Denn die Engel und Teufel (oder wie auch immer sie heute heißen mögen), die wir so gerne für alles Mögliche verantwortlich machen – dessen war sich Gandhi bewusst – sind Anteile unserer selbst und haben darüber hinaus keine eigene und von uns unabhängige Existenz. Daher schrieb er nach eingehendem Studium des gesamten umfangreichen Epos „Mahabharata“:

„Die Schilderung dreht sich nicht um den Krieg zwischen Vettern, sondern um den zwischen den beiden Naturen in uns: Gutem und Bösem. Ich betrachte Duryodhana und die Seinen als die niederen Impulse im Menschen und Arjuna und die Seinen als die höheren Regungen. Das Schlachtfeld ist unser eigener Körper. Zwischen den beiden Lagern spielt sich ein ewiger Kampf ab. Und der Dichter und Seher (Vyasa) beschreibt diesen auf das Lebendigste. Krishna ist der, der im Inneren wohnt und einem reinen Herzen unentwegt zuflüstert.“

In seiner bemerkenswerten Analyse über den furchtbaren Krieg des „Mahabharata“ - die uns allen nahe gehen sollte, da sich der Bezug zu aktuellen Ereignissen in der Weltpolitik geradezu aufdrängt, stellt er Folgendes fest:

„Sein [Krieg] wunderbarer Ausgang zeigte die absolute Nichtigkeit weltlicher Macht. Vyasa verfasste dieses wunderschöne Epos, um die Sinnlosigkeit des Krieges darzustellen. Was hat die Niederlage der Kauravas und der Sieg der Pandavas eingebracht? Wie viele unter den Siegern haben überlebt. Welches Schicksal erwartete sie?"

 

Fortsetzung folgt im 2. Teil ...