REINKARNATION Teil 2: Stirb und Werde! - Vom Aufstieg der Seele 2 (4)

11.04.2015

 


REINKARNATION Teil 2: Stirb und Werde! - Vom Aufstieg der Seele



„Die meisten von uns sind nur ganz allmählich weitergekommen, von einer Welt in die nächste, die dann anders war. Wir vergaßen sofort, woher wir gekommen waren, und es kümmerte uns nicht, wohin wir gingen. Wir lebten nur für den Augenblick. Es ist kaum vorstellbar, durch wie viele Leben wir hindurch mussten, bis wir verstanden, dass Leben mehr ist als Fressen und Kämpfen und eine Vormachtstellung im Schwarm einnehmen. Tausend Leben, zehntausend, und danach vielleicht noch hundert Leben, ehe uns die Erkenntnis aufdämmerte, dass es so etwas gibt wie  Vollkommenheit, und dann nochmals hundert Leben, um endlich als Sinn des Lebens die Suche nach der Vollkommenheit zu sehen und zu verkündigen.“
     
                                                                                      - aus: Die Möwe Jonathan -


Nach den Upanishaden – den alten indischen Weisheitstexten, die das Fundament für so viele spirituelle Philosophien und Lehren sind – nehmen wir von Wiedergeburt zu Wiedergeburt alle Vorstellungen, Eindrücke und Erfahrungen, die wir zuvor im alltäglichen Leben gemacht haben, mit - auch wenn die individuelle Seele den alten, aufgebrauchten Körper verlässt und nach einiger Zeit des Aufenthalts im „Zwischenbereich“ einen neuen Körper annimmt. Sie wandert also mit ihrem alten Gepäck von Hülle zu Hülle.

Dieser Erfahrungsschatz ist Ursache dafür, dass jedes neue Leben nur bedingt „neu“ ist. Denn gelingt es dem Individuum nicht, sein vollständiges und vollkommenes Potential zu realisieren und seine wahre Natur zu erkennen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als dort weiterzumachen, wo es im vorherigen Leben aufgehört hat. Mit der Schule des Lebens verhält es sich eben, wie mit jeder anderen Schule auch: Ist das Schuljahr zu Ende, bevor ich den Abschluss meistern konnte, muss ich – nach den Ferien – im darauf folgenden Schuljahr in der nächst höheren Klasse oder Stufe weiter lernen. Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, erlange ich so das Wissen, die Fähigkeit, die Erfahrung und die Reife, um schließlich zur höchsten Erkenntnis und Erfahrung vorzudringen.

Die individuelle Seele erkennt im Laufe ihrer Entwicklung ihren Irrtum – gemeint ist ihre Identifikation nicht nur mit dem sterblichen Körper, sondern auch – und das ist das eigentlich Entscheidende – mit der Persönlichkeit oder Person, für die sie sich hält. Denn das „Ich“, das sie fortwährend für das Zentrum ihres Seins hält, ist eine begrenzte und begrenzende Illusion. Die individuelle Seele ist von ihrer Natur her der unendliche Ozean des ewigen, schöpferischen Bewusstseins und nicht der Tropfen in diesem Ozean, mit dem sie sich lange Zeit identifiziert hat. Wenn sie mit dieser höchsten Erkenntnis - „ICH BIN DAS SELBST – vollkommen verschmilzt, ist der Kreislauf der Wiedergeburt, in dem sie an so viele aufeinander folgende physische Inkarnationen gebunden war, beendet und sie ist für immer frei.

Die Reinkarnation der Seele ist ein uraltes Thema der Menschen - und zwar nicht nur in Indien, sondern  überall. Auch wenn das heute abgestritten wird: Die Lehre von der „Seelenwanderung“ war in den ersten Jahrhunderten des sich konsolidierenden Christentums eine keinesfalls in den Hinterzimmern der philosophischen Diskussion geäußerte Auffassung. Sie war ohne Zweifel Teil der christlichen Lehre, wie ein Blick in die Werke einer der wohl bedeutendsten Autoritäten dieser Zeit beweist. Denn bereits der große Gelehrte und Kirchenvater Origenes von Alexandria (185-254 n. Chr.) schrieb in seinem Werk „De Principiis“:

"Jede Seele tritt in diese Welt entweder gestärkt durch die Siege oder geschwächt durch die Verfehlungen und Niederlagen ihres vorhergehenden Lebens. Ihre Stellung in der Welt als Träger von Ehren oder Verunglimpfungen ist durch ihre früheren Verdienste oder Verschuldungen bestimmt. Und ihr Wirken in der Welt heute bestimmt wiederum ihren Platz in dem Dasein, das diesem Dasein folgt. Jeder von uns eilt der Vollkommenheit zu. Wir sind gebunden, stets neue und bessere Leben zu führen, sei es auf der Erde oder auf anderen Welten. Erst unsere völlige Hingabe an Gott, die uns von allem Niederen reinigt, bedeutet das Ende unserer Wiedergeburten."

Die Lehre von der Seelenwanderung findet sich bereits in der altägyptischen Zivilisation, wie auch bei den griechischen Philosophen. Von keinem Geringeren als Pythagoras ist bekannt, dass er sich an frühere Leben erinnerte. In einem dieser Leben, so berichtet er, sei er von König Menelaos in Troja getötet worden. Auch andere große Lehrer, wie Empedokles, Vergil und Plotinus, vertraten die Wiedergeburtslehre. Im letzten Teil von Platos Abhandlung „Der Staat“ (Politeia) geht es um eine Gruppe von Seelen, die wählen, als was sie als nächstes geboren werden wollen. Ebenso beschreibt er in diesem Werk, wie die Seelen aus der Jenseitswelt ihre „Rückreise“ ins Diesseits antreten (Politeia 621a-b):

"Sie lagerten am Flusse ... Sorgenlos, dessen Wasser von keinem Gefäß gehalten wird. Ein Maß davon muss jeder trinken, die von aller Vernunft Verlassenen trinken übers Maß; wer aber dort trinkt, vergisst stets alles. Als sie schliefen und es Mitternacht wurde, begann es zu donnern und beben, und plötzlich wurden sie durcheinander gewirbelt, hinauf zur Geburt, wie wenn Sternschnuppen fallen."

Viele Menschen in unserem westlichen Kulturkreis sind der Wiedergeburtslehre gegenüber kritisch. Nicht nur weil sie von der christlichen Kirche als Irrlehre abgetan wird (doch erst nach Kaiser Justinians Konzil von Konstantinopel im Jahre 538 n. Chr. wurde sie unterdrückt), sondern auch weil viele – aufgrund ihres ausschließlich nach außen gerichteten Bewusstseins und fehlender Introspektive bzw. Innenschau (Meditation) – nicht die Fähigkeit besitzen, tief genug zu dringen um sich an etwas Vorheriges zu erinnern. In unserem Inneren bleiben nämlich Spuren von unseren vorherigen Inkarnationen haften. In der Yoga-Philosophie werden sie Samskaras genannt. Das sind Eindrücke, die sich in unseren feinstofflichen Körpern ansammeln. Diese Samskaras verlassen uns nicht, wenn wir den grobstofflichen Körper aufgeben, sondern begleiten uns und bestimmen sehr stark unsere Empfindungs-, Reaktions- und Handlungsmuster im nächsten Leben.

Doch sobald wir durch Meditation in das Innere unseres Wesens gelangen, kann es vorkommen, das Bilder oder andere Informationen aus früheren Leben in uns aufsteigen. Hierfür ist es gar nicht nötig gezielt darauf hinzuarbeiten – wenn es für unseren Entwicklungsweg (Sadhana) notwendig ist, ereignen sich solche Erfahrungen spontan. Relativ viele Yoga-Praktizierende haben solche Erfahrungen. Sobald sich unsere höhere Energie durch das Feuer der Meditation im Inneren zu entfalten beginnt, treten derartige Erfahrungen nicht nur in der Meditation und im Traum auf, sondern erstaunlicherweise sogar im alltäglichen Wachzustand.

Diese Erfahrungen zeigen und lehren uns, dass Geburt und Tod zwar einschneidende Ereignisse in unserem Leben sind. Doch der Erfahrene weiß, dass jedem Tod eine Geburt folgt – wie dem Sonnenuntergang der Sonnenaufgang. Das Wissen vom größeren Ganzen lässt uns ebenso wenig am Tod wie am Sonnenuntergang verzweifeln. Wer das Höhere begreift und erfährt, wird in solchen Augenblicken keine Angst, sondern Vertrauen, Liebe und Dankbarkeit empfinden – unter anderem dafür, dass die Reise so lange weiter gehen wird, bis wir unser Ziel erreicht haben.

 

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