SHIVAS fünffältiger kosmischer Tanz 1 (3)

20.06.2015

 

SHIVAS fünffältiger kosmischer Tanz 1 (3)

 

SEINE FORM ist überall – allgegenwärtig in seiner Shiva-Shakti.
Chidambaram ist überall, überall sein Tanz.
Da Shiva alles und allgegenwärtig ist,
zeigt sich Shivas anmutiger Tanz überall.
Seine fünffachen Tänze sind innerhalb der [Dimension der] Zeit und jenseits der Zeit.
Seine fünffachen Tänze sind seine fünffachen Handlungen.
Durch seine Gnade führt Er die fünf Handlungen aus.
Dies ist der heilige Tanz von Uma-Sahaya.
Er tanzt mit Wasser, Feuer, Wind und Äther.
So tanzt unser Herr in Ewigkeit auf dem Hofe.
Unser Herr tanzt seinen ewigen Tanz.
Die Gestalt der Shakti ist absolutes Entzücken.
Dieses vereinte Entzücken ist Umas Körper.
Diese Gestalt der Shakti, die sich zur rechten Zeit erhebt und die Beiden vereint, ist der Tanz.
Sein Körper ist Akasha (Äther/Raum).
Die dunkle Wolke darin ist Muyalaka.
Die acht Himmelsrichtungen sind seine acht Arme.
Die drei Lichter sind seine drei Augen.
In seinem Werden tanzt Er in unserem Körper als versammelte Gemeinde.

- aus dem Tirukuttu Darshana, das das neunte Tantra des Tirumantrams bildet, ein Werk des südindische Heiligen TIRUMULAR -

 

Am RUHENDEN PUNKT der sich drehenden Welt.
Weder Fleisch noch fleischlos;
Weder woher noch wohin;
am Ruhepunkt, dort ist der Tanz,
Aber weder Verharren noch Bewegung.
Und nenn' es nicht Stillstand,
Wo Vergangenheit und Zukunft vereint sind.
Weder Fortgehn noch Hingehn,
Weder Aufsteigen noch Absteigen.
Wäre der Punkt nicht, der ruhende Punkt,
So wäre der Tanz nicht – und es gibt nichts als den Tanz.
Ich kann nur sagen, dort waren wir: doch ich kann nicht sagen wo.

- von T.S. Eliot (1888-1965, englischsprachiger Lyriker und Dramatiker, Harvard-Absolvent, einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne, erhielt 1965 den Literatur-Nobelpreis) -



Seit Urzeiten haben sich die Menschen gefragt, welcher Art die Beziehung zwischen Gott und dem Universum ist. Hat Gott die Welt geschaffen und ihr dann den Rücken zugekehrt? Oder beobachtet er uns? Aber dann gäbe es ja zwei, die getrennt und von einander verschieden sind: Gott und die Welt. Indische Philosophien und Yoga-Traditionen hingegen sagen: Gott und die Welt ist Eins. Nach tantrischer Lesart gar gibt es nur das Eine: na shivam vidyate kwachit - „Nichts das nicht Shiva ist existiert irgendwo.“ Kluge Menschen nicht nur im Orient, sondern auch bei uns – wie das Gedicht von T.S. Eliot zeigt – verwenden im Zusammenhang mit Gott und der Schöpfung immer wieder ganz bestimmte Metaphern, Bilder, Vergleiche. Sie sagen: Diese Welt ist Sein kosmisches Spiel, Sein Lila, Sein Vilasa, Sein Drama, SEIN TANZ.

Grundlage dieses Welten-Schauspiels ist – wie bei jedem Drama oder Tanz auf der Bühne auch – der Gegensatz: Lachen und Weinen, Leben und Tod, Liebe und Hass. Kein Drama, kein Tanz, kein Schauspiel – ob kosmisch oder irdisch – kommt ohne dem aus. Alle Regeln des Dramas finden sich im Kleinen wie im Großen – im Mikro- wie im Makro-Kosmos. Das betrifft auch die Spannung, ohne die jedes Schauspiel langweilig und eigentlich sinnlos wäre. Spannung schafft, nicht zu wissen, wann und unter welchen Umständen die Auflösung des Rätsels stattfinden wird. Spannung schafft auch, dass der Betrachter die Komplexität der miteinander verflochtenen Handlungsstränge erst mit der Zeit zu durchdringen vermag.

Nach der tantrischen Philosophie ist der große, kosmische Dramaturg das unendliche, göttliche Bewusstsein - Shiva. Er ist ebenso Regisseur, ebenso die Bühne, ebenso jedes Requisit auf der Bühne, ebenso jeder Schauspieler und ebenso jeder Zuschauer. Deshalb heißt es in den bedeutenden Shiva Sutras (Kapitel 3, Verse 9 – 11), in denen unter anderem beschrieben ist, wie das Höchste Bewusstsein aus sich selbst heraus dieses Universum erschafft, wie es „Substanz“ ist für alles was existiert und wie es – auch durch jeden von uns – genießt, was es erschaffen hat.

nartakatma, „Das Selbst ist der Tänzer.“ - (3.9)

rango' ntaratma, „Das innere Selbst ist die Bühne.“ - (3.10)

prekshakanindriyani, „Die Sinne sind die Zuschauer.“ - (3.11)

 

Durch den Willen und das Wirken Shivas ereignet sich der Tanz dieses Universums, wie auch der Tanz eines jeden unserer Leben. Das geschieht, indem Shiva durch seine Schöpfermacht – Shakti – fünf Handlungen oder Schöpfungsakte ausführt: Erschaffung, Bewahrung, Auflösung, Verhüllung, Gewähren der Gnade. Die fünf Handlungen finden sich ausdrucksvoll dargestellt in und als Shiva-Nataraj, dem „tanzenden Shiva“. Die berühmte Statue stammt aus dem Tamil Nadu des zehnten bis zwölften Jahrhunderts und findet ihre größte Verehrung in dem Nataraj-Tempel in Chidambaram.

Doch es geht hier nicht um irgendeinen indischen Kult oder eine interessante Statue, sondern um dich und mich – Nataraj, der „König des Tanzes“, DAS SIND WIR. Jeder von uns führt jeden Augenblick seines Lebens diese fünf göttlichen Handlungen aus. Das ist es, worauf uns die Shiva-Sutras (siehe oben) hinweisen. Denn Shiva ist das Selbst in allem und jedem– unser inneres Selbst. Deshalb sagt der Heilige Tirumular in dem Gedicht oben:

Chidambaram ist überall, überall sein Tanz.
Da Shiva alles und allgegenwärtig ist,
zeigt sich Shivas anmutiger Tanz überall.

 

 

Was die fünf göttlichen Handlungen im Einzelnen bedeuten, wie sie in und als uns zum Ausdruck kommen und vieles mehr …. das ist Thema von Teil 2 … und der folgt in Kürze …..