Kriya – Wenn die Göttin des Universums in Dir zu tanzen beginnt -4 (4)

07.10.2014


Kriya– Wenn die Göttin des Universums in Dir zu tanzen beginnt - 4 (4)


Teil 4- Vedhamayi

In dieser vierteiligen Blogbeitrags-Reihe geht es um die bei Kundalini-Yogis auftretenden – und vielfach dokumentierten – Erfahrungen beziehungsweise Begleiterscheinungen im Zusammenhang mit der Erweckung und Entfaltung von Kundalini-Shakti. In den klassischen, Jahrhunderte alten Kundalini-Tradionen ist diesbezüglich von insgesamt vier verschiedenen Typen oder Klassen die Rede – Kriyavati, Varnamayi, Kalatma, Vedhamayi. Daher habe ich mich entschlossen, jedem dieser Typen oder Klassen jeweils einen kleinen Beitrag zu widmen. Der nun nachfolgende Text besteht größtenteils in Auszügen aus meinem „Großen Kundalini-Buch – Kundalini Erfahrungen“ (Kapitel 10 „Die Entfaltung“)

Die vierte Form der Erfahrung der Kundalini-Entfaltung wird als Vedhamayi bezeichnet. Das Sanskritwort Vedha bedeutet „Durchbohren, Durchstoßen“. Wenn die Kundalini erwacht, steigt sie auf und durchdringt und revitalisiert die Chakras und andere Energiezentren des feinstofflichen Körpers. Durch das Aufbrechen der Chakras entsteht eine Entfaltung der Psyche, die ihre Wurzeln im feinstofflichen Körper hat. Yogis sprechen von der Psyche als von einem „Instrument“, einem Instrument durch das individuelle Bewussstsein (Atman) mit dieser Welt in Beziehung treten kann.

Die Psyche ist also ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Bewusstsein und der Materie. Durch das Aufbrechen, Wiederbeleben und Erstrahlen der Chakras geschieht etwas, das große Ähnlichkeit mit C.G. Jungs „Individuationsprozess“ hat. Nach C.G. Jung führt dieser Prozess dazu, dass die Psyche „ganz“ wird, und zwar indem sich folgende vier Funktionen im Gleichgewicht zu einander befinden: Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Intuition. All dies wird bei dem Prozess der Entfaltung der Chakras aufeinander abgestimmt.

Die unmittelbaren Erfahrungen der Vedhamayi-Kriya sind die schon erwähnten inneren Bilder. Aber darüber hinaus entsteht häufig auch die Wahrnehmung subtiler Klänge, Visionen, Intuitionen, und andere Formen der übernatürlichen Wahrnehmung. Insbesondere jedoch erfahren viele Praktizierende Druckgefühle und Schmerzen in den Regionen der jeweiligen Chakras. Das macht deutlich, dass der gesamte Vorgang des Durchdringens der Chakras (Skt. Chakra-Bheda) zu diffizil, komplex und subtil ist, als dass man als Schüler des Tantra- und Kundalini-Yoga durch bestimmte Techniken eigenwillig irgendetwas erzwingen sollte.

Solche Warnungen sind hier nicht die Auffassung eines Einzelnen, sondern unter anderem die, vieler tantrischer Meister und Lehrer, die in den zurückliegenden Jahrhunderten hierüber viele warnende Hinweise ausgesprochen haben. Allein das ist der Grund, warum ich dieses so wichtige Thema nochmals und gerade an dieser Stelle aufgreife. So schreibt die bekannte Autorin Irina Tweedie in ihrer Autobiographie „Wie Phönix aus der Asche“:

„Wenn Kundalini durch Hatha-Yoga geweckt wird, ist das meist problematisch. Es ist ein sehr schwieriger Weg. Man muss wissen, wie man sie durch die Chakren emporsteigen und dann wieder herabholen kann. Das ist äußerst schwer. Bei uns werden wir der Kundalini erst gewärtig, wenn sie das Herz-Chakra erreicht hat. Das bedeutet dann Frieden, Glückseligkeit und ein erweitertes Bewusstsein. Wir wecken nur den ‚König’, das Herz-Chakra und überlassen es dem ‚König’, auch die weiteren Chakras zu wecken.“1

Über die feinstofflichen Vorgänge während Kundalinis Wirken gerade in dem soeben erwähnten Anahata-Chakra oder Hridaya(Herz)-Chakra kann man in dem sechsten Kapitel der Jnaneshvari außerordentlich Aufschlussreiches finden (Verse 271, 274-276, 281, 287):

„Höre! Den Prana bei der Hand packend und die Treppe zum Äther hinaufsteigend betritt Kundalini das Herz über die Stufen der Sushmna-Nadi. Wenn die junge Kundalini das Herz betritt, wird das Chakra dort erweckt und man hört Klänge. Sie werden schwach vom Bewusstsein des klaren Verstandes gehört, das mit der Kundalini verbunden ist. In der Fülle des Klanges liegen die vier Ebenen der Sprache ausgebreitet in der Form der heiligen Silben. Im innersten Hohlraum des Herzens breitet die göttliche Kundalini vor dem Bewusstsein das Fest ihres eigenen Glanzes aus. Indem sie in die Höhle des Herzens eingeht, verliert sie ihre Getrenntheit und verschmilzt mit der Kraft, die sich darin befindet.“

Die Klänge, von denen hier die Rede ist, werden von den Yogis Nada (Skt. göttlicher, subtiler Klang) genannt und gehören zu den klassischen Kundalini-Erfahrungen. Diese Klänge könnte man theoretisch immer hören, denn sie finden immer in uns statt.Unsere Wahrnehmung ist hierfür jedoch im Allgemeinen zu grob und zu schwach.

Durch intensive Yoga-Praxis, insbesondere wenn Kundalini erweckt wurde und die Chakras zu durchdringen beginnt, erhalten wir zunehmend die Fähigkeit – bzw. das subtile Gehör – solche Klänge in unserem Inneren wahrzunehmen. Fortgeschrittene Kundalini-Yogis erfahren Nada, indem sie sich ganz bewusst auf die subtilen Ebenen begeben, von denen aus diese Klänge aufsteigen.

Das Spektrum solcher Klangerfahrungen ist recht weit gefächert. Einige Klänge ähneln dem Laut von Glöckchen, andere dem einer Flöte, einer Vina (ind. Saiteninstrument), einer großen Trommel, einem gewaltigen Donner, usw. Häufig berichten Yogis, wie sie in tiefster Meditation völlig berauscht über sehr lange Zeiträume diesen Klängen lauschen und ihr Bewusstsein mit dem Bewusstsein des Absoluten verschmilzt. Die höchste Nada-Erfahrung, das Ziel, das auch im Laya-Yoga angestrebt wird, ist die Erfahrung des Anahata-Nada, dem „unerzeugten Klang“.

Gemeint ist damit der OM-Laut, der nicht nur der Ursprung allen Nadas, sondern überhaupt der gesamten Schöpfung ist. Über die gewaltige Erfahrung dieses höchsten Nada heißt es in einer der sehr tantrischen Yoga-Upanishaden (Yogashikha-Upanishad 2. 20)2:

„Großartiger als dieser Nada ist kein Mantra, und großartiger als das offenbarte Selbst, das diesen Nada erfährt, ist keine Gottheit.“

Im Herz befindet sich also nach yogischer und tantrischer Auffassung neben vielem anderen auch die Quelle unserer Gefühle. Wenn nun dieses Zentrum erweckt wird, kommt es bei den Betroffenen häufig zu den bereits erwähnten mentalen Kriyas, die als äußerst heftige und plötzlich wechselnde Emotionen erlebt werden, die auffälligerweise auf keinerlei äußere Ursache zurückzuführen sind. Manche vergleichen solche Momente oder Phasen bildhaft mit einem wilden, stürmischen Ozean, dessen Wellen und Wogen sie hilflos ausgesetzt sind. Ähnliche Aussagen zu diesem Phänomen findet man bei Bonnie Greenwell:

„Bailey schrieb, dass unter allen Problemen, mit denen die Anhänger einer esoterischen Lehre zu kämpfen haben, diejenigen, die von der Erweckung des Herz-Chakras ausgehen, vielleicht am weitesten verbreitet und am schwierigsten zu bewältigen sind. Sie sagte, in der Frühphase führe der Zustrom der Liebeskräfte zu neuen zwischenmenschlichen Kontakten, die seitens der Person, in der diese Kräfte wirken, zwischen äußerster Hingabe und tief empfundenem Abscheu hin- und her-pendeln können. Das bringt eine Menge Turbulenz in das Leben des Schülers; bis man sich endlich an die Effekte dieser Energieumverteilung gewöhnt hat und sich entsprechend verhält, gehen viele Beziehungen in die Brüche.“3

Zu dem, wie man als Schüler oder Schülerin des tantrischen Yoga mit diesem Phänomen umgehen könnte, um es in den Prozess des spirituellen Weges und Wachstums zu integrieren, meint Greenwell:

„Die Öffnung des Herzens erzeugt intensive Liebesenergie, die oft auf den Guru oder Lehrmeister gerichtet wird, sich aber auch als überwältigende Woge des Mitgefühls für die ganze Welt äußern kann. Mystiker werden diese Leidenschaft in Gottesliebe oder Liebe zur Natur verwandeln oder sie in den Dienst der praktizierten Nächstenliebe stellen.4

Die durch Kundalini-Aktivitäten im Inneren hervorgerufenen Symptome sind, wie mehrfach erwähnt, zwar einerseits klassifizierbar, andererseits aber auch höchst individuell. Um den Betroffenen eine Orientierungshilfe zu geben – gerade in Hinblick auf die immer wieder gestellte Frage „war das eine echte Kriya, was ich da erlebt habe?“ –, habe ich in meinem Werk "Das Große Kundalini-Buch" einige der charakteristischsten Kriyas sehr ausführlich beschrieben.  Hierbei beziehe mich u.a. auf Swami Vishnu Tirthas Ausführungen zu diesem Thema in seinem Werk „Devatma Shakti“. Eine weitere Grundlage meiner Erläuterungen hierzu bilden meine persönlichen, langjährigen Erfahrungen mit Kriyas. 

 

Eine weitere Möglichkeit, für in dieser Angelegenheit Betroffene, bilden meine Kundalini- und Tantra-Seminare.

 

 

1 Irina Tweedie, Wie Phönix aus der Asche – Mein Abenteuer der Selbstfindung auf dem Weg der Sufis.Reinbeck 1996, S. 217.

2 Diese Yoga-Upanishaden sind eine der wichtigsten Textquellen des Tantrischen Yoga, haben jedoch nichts mit den alten Upanishaden (Weisheitstexte Indiens) aus zum Teil vorchristlicher Zeit zu tun.

3 B. Greenwell, Kundalini, S. 344.

4 ibid., 344.