Die Jnaneshvari - Einzigartiges Meisterwerk des Kundalini-Yoga-2

28.05.2014

 

Die Jnaneshvari - Einzigartiges Meisterwerk des Kundalini-Yoga -2

  

Warum ich Euch gerade Jnaneshvar - dieses von vielen indischen Yogis als „Meister der Meister“ bezeichnete philosophisch-spirituelle Genie - „ans Herz“ legen möchte? Das hat natürlich mit meiner persönlichen Lebensgeschichte zu tun, einer Geschichte, die ohne ihn gar nicht denkbar wäre. 

Jnaneshvar begleitet mich nun auf wundersame Weise schon viele Jahre. Die erste Begegnung mit ihm – auch wenn sie nicht von physischer Art war, denn sein Mahasamadhi ist ja schon eine Weile her (1296 n.Chr.), so war es für mich dennoch eindeutig eine Begegnung – liegt nun schon lange Zeit zurück. Doch ist mir dieses einschneidende Erlebnis derartig präsent, dass ich mich an jede Kleinigkeit erinnern kann. Zeit hat in manchen Verbindungen und Beziehungen einfach keine Bedeutung, wenn überhaupt. Es muss gegen Ende des Jahres 1978 gewesen sein, als mir jemand aus der Meditationsgruppe, zu der ich damals ging, eine Musik-Kassette (für die Spätgeborenen unter Euch: da hat man Ton, Sprech oder Musik drauf speichern können) schenkte, mit der Bitte, sie mir doch mal anzuhören.

Das tat ich dann auch. Zu hören war die Lebensgeschichte von Jnaneshvar und einige Verse eben jener Jnaneshvari, von der ich in diesem Blog-Artikel etwas erzählen möchte. Wie soll ich es beschreiben, was ich empfand ... Es war so, als ob irgendjemand oder irgendetwas in mir wach gerüttelt worden wäre, was lange auf diese Gelegenheit gewartet hatte .... gewaltige Emotionen, innere Bilder in unbekannten Farben, intensive Verbundenheit mit anscheinend früher Erlebtem, Zustände von unbeschreiblicher Tiefe und Schönheit... vieles mehr, was ich hier nicht öffentlich dokumentieren kann oder mag.

Einbildung, Projektion? Nein, ich bin mir sicher, dass es das nicht ist. Ich möchte diese innere Gewissheit mit etwas vergleichen, das gut hierzu passt: Es ist so, wie wenn man jemandem begegnet und aus dem Stand heraus weiß, dass man nicht nur einfach verliebt ist, sondern jemanden wirklich liebt – in Ruhe, Stille, Tiefe und großer Klarheit. Außerdem wiederholten sich diese Erfahrungen – während derer der Verstand, um sie zu erfassen oder auch nur zu ertragen einen Moment lang wie gedehnt wurde, um hernach wieder auf das übliche Maß zusammen zu klappen –  und zwar jedes Mal wenn ich mir diese Kassette anhörte.

Meine Reaktion war ... großes Staunen, wie ein Kind mit großen Augen staunen, in Ehrfurcht und Liebe. Offensichtlich wurde dadurch, dass ich diese Verse hörte, so etwas wie eine alte Verbindung wieder hergestellt, aus welchen Gründen auch immer und durch wen oder was auch immer. In solchen Momenten des Lebens spürt man, dass es da etwas gibt, was einen lenkt und leitet auf ein Ziel hin, das man selbst kaum mehr als erahnen kann.

Niemand kann sich seine inneren Bilder aussuchen - was mir gerade in diesem Zusammenhang einfällt, ist der Anfang dieses berühmten Gedichtes und Liedes von Dietrich Bonhoeffer (das er im Gefängnis schrieb), wo es heißt: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ Und das war und ist bei mir persönlich in der Tat ein Kennzeichen solcher durchaus sehr heftigen Erfahrungen, von denen ich doch einige machen durfte: Da war nie auch nur der Anflug einer Furcht – Ehrfurcht ja, aber keine Furcht.

Natürlich habe ich mich damals nach diesen Erlebnissen ausführlich über Jnaneshvar informiert. Es war jedoch nicht allzu viel über ihn in Umlauf. Aber gottseidank gibt es anscheinend etwas in und um uns herum, das reagiert auf unser inneres Verlangen. Und so geschah es, dass mir mit zunehmender Zeit und auf unterschiedliche Weise mehr und mehr von Jnaneshvar offenbart oder einfach dargeboten wurde.

Mein Meister, den ich etwa ein Jahr später zum ersten Mal traf, sprach in seinen Abendvorträgen – in denen er uns die verschiedenen Aspekte der Kundalini-Shakti aufzeigte (und häufig auch aus dem Nichts heraus erfahren ließ) – oft von Jnaneshvar und zitierte aus dessen Werken – auch aus der Jnaneshvari.  Auch einige Zeit hiernach, in meinem Indologie-Studium, wurde ich in gewisser Weise von Jnaneshvar willkommen geheißen. Denn als ich in Heidelberg am Süd Asien Institut begann, unterrichtete dort zu dieser Zeit ein bekannter indischer Professor (S.G. Tulpule), der ein Seminar über Jnaneshvar und dessen Tradition abhielt. Es war im übrigen eben jener Professor, der mir Jahre später in Indien mit seinem schier unbegrenzten Wissen über die Tantrische Tradition hilfreich zur Seite stand und der mir das Manuskript des Viveka Darpana („Der Spiegel der unterscheidenden Betrachtung“) aushändigte, das dann die Grundlage zu meiner wissenschaftlichen Arbeit über Jnaneshvars Tradition der Nath-Yogis werden sollte.

Über eine kleine, doch überaus bemerkenswerte Begegnung möchte ich in diesem Zusammenhang auch noch kurz berichten. Als ich mich einige Jahre später zwecks Erforschung der Tantrischen Tradition längere Zeit in Indien aufhielt, besuchte ich natürlich regelmäßig den Ashram meiner Meisterin – der Nachfolgerin meines damaligen Meisters. Während einer dieser Aufenthalte hatte ich eine Frage, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Als sich die Gelegenheit bot, damit zu meiner Meisterin zu gehen und sie zu fragen, tat ich dies. Ich stellte also – in dieser einzigartigen Atmosphäre der Begegnung zwischen Meister und Schüler, die zu beschreiben ich nicht in der Lage bin – meine Frage.

Und ich bekam eine sehr knappe Antwort – eine, die überhaupt nichts mit dem Gefragten zu tun hatte ... die da offensichtlich doch gar nicht hin gehörte ... die ich absolut nicht verstand ... die mich noch lange, lange beschäftigte – bevor ich Jahre später endlich tat, was mir aufgetragen wurde ... und mir ein großes Licht aufging! Die Antwort – begleitet von einem intensiven Blick – lautete doch tatsächlich und wie aus heiterem Himmel: „Du solltest die Jnaneshvari lesen...“

 

Kommen wir nun zu unserem zweiten Teil dieses kleinen Ausschnitts aus dem sechsten Kapitel der Jnaneshvari, in dem uns Jnaneshvar tiefen Einblick in höchst mystische Bereiche gewährt, über die die Yoga-Meister sonst eher Stillschweigen bewahren. 

 

Jnaneshvari (Verse 268-285, 293-294) zu BvG 6.14 und 6.15 -

(Hier beginnt Jnaneshvar mit der Beschreibung des Körpers und der einzigartigen Fähigkeiten – insbesondere der acht übernatürlichen Kräfte/Ashta-Mahasiddhis – eines hoch entwickelten Kundalini-Yogis. Er beschreibt später, was geschieht, wenn Kundalini spontan und mit aller Macht den Prozess der Auflösung der Elemente, Bhuta-Shuddhi genannt, im Körper eines Kundalini-Yogis einleitet)

Höre! Obwohl der Körper das Aussehen von Gold hat, hat er die Leichtigkeit von Luft, da keine Erd- oder Wasserpartikel in/an ihm haften.

Der Yogi kann dann jenseits aller Ozeane schauen, die Gedanken der Himmel hören und im Geist/Verstand einer Ameise lesen.

Er reitet die Pferde des Windes und geht auf der Oberfläche des Wassers, obwohl seine Füße es nicht berühren. In dieser Weise erwirbt er viele übermenschliche Fähigkeiten.

Höre dies! Den Prana packend und die Treppe hinauf zum Äther (Akasha) schreitend, betritt Kundalini, über die Stufen der Sushumna Nadi, das Herz.

Sie ist die Mutter der Welten, die Herrlichkeit des Imperiums der Seele. Sie gewährt den zarten Sprossen des Samens des Universums Schutz.

[Sie ist] der Lingam des gestaltlosen Absoluten, das Gefäß Shivas, das Höchste Selbst und die wahre Quelle des Prana.

Wenn die junge Kundalini das Herz betritt, erwacht das Chakra dort und [der Yogi] hört Klänge (Nada).

Vom Bewusstsein der reinen Rationalität, das mit der Kraft der Kundalini verbunden ist, werden sie nur schwach gehört.

Im Volumen dieses Klanges sind die vier Ebenen der Sprache (Para-Vac, Vaikhari-Vac, Madhyama-Vac, Pashyanti-Vac) in der Form von heiligen Silben abgebildet.

Man muss es erfahren, um es zu verstehen. Wie soll man es sich vorstellen? Wir können nicht wissen, was der Ursprung dieses Klanges ist.

Wenn der ätherische Raum widerhallt von dem Donner dieses Klanges, brechen die Fenster des Sahasrara, des Kronen-Zentrums, plötzlich auf.

Höre! Es gibt hier noch ein weiteres großes Zentrum in der Form eines Lotus, wo das Bewusstsein erscheint.

In der innersten Höhle des Herzens breitet die göttliche Kundalini vor dem Bewusstsein das Fest ihres eigenen Glanzes aus.

Sie bietet einen Krümel Nahrung dar, bekleidet mit dem Gemüse der Vernunft/Rationalität, wo keine Spur von Dualität sichtbar ist.

Dann verschwindet ihr Glanz und sie wird in Prana verwandelt. Wie soll ich ihre Erscheinung beschreiben?

Sie ist wie ein aus Luft geformtes Bild, wenn das goldene Tuch, in das es gewickelt ist, beseitigt wurde.

Sie ist wie eine Flamme, die mit einem Windstoß in Berührung kommt, flackert und ausgeht, oder wie ein Blitzstrahl, der über den Himmel zuckt und plötzlich verschwindet.

- zu Bhvg 6.15

Höre! Wenn Kundalini ihren Glanz verliert, verschwindet die festere Form des Körpers und ist mit dem physischen Auge nicht länger erkennbar.

In Wirklichkeit hat er [noch] die selben Körperglieder, dennoch erscheint er, als sei er aus Luft geschaffen.

 

Diesen Prozess der inneren Auflösung bis hin zur höchsten Erleuchtung, den Jnaneshvar sehr ausführlich über viele Verse beschreibt, werden wir uns beim nächsten Mal ausführlich anschauen. Es geht also weiter...