AUS AKTUELLEM ANLASS – Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –2 (3)

20.10.2014

 

AUS AKTUELLEM ANLASS - Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –2 (3)


Mahatma Gandhi ließ die Trennung oder Unterscheidung zwischen Spirituellem und Weltlichem nicht gelten. Deshalb erkannte er in der Spiritualität der Bhagavad Gita eine Inspiration und praktische Anleitung für den politischen Konflikt zwischen den Briten und Indern. Die Gita war für ihn nicht nur eine abgehobene Idee, eine moralische und spirituelle Allegorie, sondern – trotz oder gerade wegen der konkreten gewalt-aufgeladenen Situation in Indien – eine praxisorientierte Vision der Gewaltlosigkeit – AHIMSA (wörtlich: Nicht-Verletzen) – die die elementare Grundlage seiner politischen Philosophie bildete. Für Gandhi war die höchste Wahrheit gleichbedeutend mit dieser Gewaltlosigkeit. So schrieb er:

Ahimsa ist mein Gott, und die Wahrheit ist mein Gott. Suche ich nach Ahimsa, so sagt die Wahrheit, 'Finde sie durch mich'. Suche ich nach der Wahrheit, so sagt Ahimsa, 'Finde sie durch mich'.“

Für Gandhi stand eines ganz klar fest: Wenn Gott die Wahrheit ist, dann ist Gewaltlosigkeit der Weg zu Ihm. Da Gott bzw. das Göttliche Bewusstsein alles durchdringt und somit auch jedes Lebewesen nichts anderes als das Göttliche ist, sollte nichts und niemandem Leid zugefügt werden. Um nun Gott zu erlangen, gibt es nach seiner Auffassung keinen leichteren Weg, als das Göttliche in allen Wesen zu erkennen bzw. anzuerkennen – diese wohl grundlegende Lehre des Yoga fasste ein Yoga-Meister einmal mit folgenden Warten zusammen: Gott lebt in Dir als Du – Daher nimm Gott in Jedem wahr. Gandhi folgerte: Wenn dem so ist – dann bedeutet Gewalt eine Leugnung dieser höchsten Wahrheit.

Erinnert uns diese Lehre der Gewaltlosigkeit Gandhis nicht an irgendetwas, oder besser, an irgendjemanden? Klingelt es da nicht bei uns …? Es war nicht irgendjemand, der da lehrte „Selig sind die Sanftmütigen“ (Matth. 5.5) – es war Jesus Christus. Und diese Worte aus der wohl berühmtesten Predigt – der BERGPREDIGT – bildet die Grundlage unserer christlichen Ethik. Ja – auch die Werte des Abendlandes gründen eigentlich auf der Gewaltlosigkeit. Wie sollte es auch anders möglich sein. Wo soll ich Gott finden, wenn nicht in allen Geschöpfen dieser Welt. Wie soll ich Gott finden, wenn nicht im Verzicht auf Gewalt? Ganz nebenbei: Die Bergpredigt war für den russischen Schriftsteller und Pazifisten Leo Tolstoi eine große Inspiration und dessen Werk „Das Himmelreich in Euch“ wiederum beeinflusste Gandhi entscheidend.

Doch es gibt noch etwas, das diese beiden – Jesus und Gandhi verbindet: Man stelle sich vor, jemand preist Sanftmut oder Gewalt-Verzicht als etwas höchst Erstrebenswertes oder sogar Notwendiges, und zwar in einer Zeit, in der Gewalt als Ausdruck von heroischem Handeln und Stärke geradezu gefeiert und gepriesen wird. Jesus und Gandhi verwirren uns zunächst einmal – weil sie den radikal entgegengesetzten Weg lehren.

Auch das hat sehr viel mit den Grundprinzipien des Yoga zu tun. Auch im Yoga liegt die Lösung oft in der entgegengesetzten Richtung, als wir das vom Leben her normalerweise gewohnt sind. Im umgekehrten Weg (Ulta-Sadhana), bzw. in der Umkehrung der natürlichen Prozesse, liegt die Richtung, die wir gehen müssen: Nicht nach außen wenden wir im Yoga unsere Aufmerksamkeit, sondern nach innen – nicht den nach unten fließenden Energien und Kräfte sind wir auf der Spur – Evolution, sondern den aufwärts zur höchsten Quelle strebenden folgen wir – Involution.

Der Pfad der Gewaltlosigkeit war nach Gandhis Auffassung eine Lebensweise, die von Mut und Furchtlosigkeit bestimmt sein sollte, also von den Eigenschaften, die im Grunde genommen einem vollkommenen Krieger zukommen. Die „andere Wange hinzuhalten“ - wie es Gandhi oftmals regelrecht praktiziert und später seine Anhänger gelehrt hat – erfordert eben diese Eigenschaften in hohem Maße. Zurückzuschlagen dagegen ist sehr viel leichter.

Auch hier kehren sich die „alten“ Vorstellungen um: Was ist wahre Stärke? Gandhi glaubte fest daran, dass auf dem Pfad der Gewaltlosigkeit durch Mut und Furchtlosigkeit letztendlich auch solch großartigen Eigenschaften wie Selbstaufopferung und Mitgefühl zum Ausdruck kommen. Aus den nachfolgenden Worten von ihm wird deutlich, wie sehr er in Gewaltlosigkeit wahre Stärke – sowohl weltlicher als auch spiritueller Natur – sah, eine Stärke, die mit bloßem Zurückweichen oder Hinnehmen nichts zu tun hat. Er schrieb:

"Die Idee der Ahimsa will zum Prinzip erhoben werden. Sie sollte keine zweckdienliche Politik sein. Um eine Kraft zu sein die etwas vermag, muss Gewaltlosigkeit im Kopf beginnen. Bloße Gewaltlosigkeit ohne die Mitwirkung des Geistes ist die Gewaltlosigkeit der Schwachen oder der Feigen und hat von daher keine Kraft. Wenn wir Groll und Hass in unserer Brust hegen und vorgeben, nicht zurückzuschlagen, so muss sich dies an uns rächen und uns ruinieren.“

Wie bereits erwähnt betrachtete Gandhi die Bhagavad Gita nicht als ein Werk über ein tatsächliches historisches Ereignis, sondern als allegorisches Werk über das menschliche Leben. Nach seiner Auffassung lehrt die Gita, dass wir in unserem Leben immer wieder vor die Wahl zwischen Gut und Böse gestellt werden und dabei mit unseren Stärken und Schwächen, unseren Tugenden und Begierden konfrontiert werden.

Der bedeutendste Teil der Gita waren für ihn daher die letzten zwanzig Strophen von Kapitel II. Hier beschreibt Krishna den Bewusstseinszustand eines Menschen mit „stetiger Weisheit“ - eines Sthita-Prajna. Ein solcher Mensch hat die vollkommene Kontrolle über die sogenannten „sechs inneren Feinde“ erlangt – und zwar egal welche äußeren Lebensumstände herrschen mögen. Er hat jenen Zustand erlangt, den Gandhi „sicheres Verstehen“ nannte, und der in der Gita von Krishna folgendermaßen beschrieben wird (2.57, 61, 72):

„Wer allseits ohne Anhaftung ist, mag ihm dies oder jenes begegnen, Angenehmes oder Unangenehmes, und dabei weder Freude noch Hass empfindet, dessen Weisheit ist fest gegründet.

Alle [Sinne] gezügelt sollte er, der [mit dem Yoga] vereint ist, auf Mich ausgerichtet dasitzen. Die Weisheit dessen, der seine Sinne zügelt, ist fest gegründet.

Das ist der göttliche Zustand, oh Arjuna. Hat er ihn erlangt, geht er nicht mehr in die Irre. Fest darauf ausgerichtet noch in der Stunde des Todes, erlangt er das Göttliche Absolute (Brahma-Nirvana).“

 

Fortsetzung folgt im 3. Teil ...