REINKARNATION: Frühling – Die Wiedergeburt des Lebens 1 (4)

21.03.2015

 

REINKARNATION: Frühling – Die Wiedergeburt des Lebens


Des Menschen Seele gleicht dem Wasser:

Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es.

Und wieder nieder zur Erde muss es.

Ewig wechselnd.                                          -- Johann Wolfgang von Goethe --

 

Wie wunderbar!

Die Wellen der individuellen Selbste steigen auf,

spielen eine Weile und verschwinden wieder.

So will es ihre Natur.

Ich jedoch bleibe der grenzenlose Ozean.                 -- Ashtavakra Samhita --

 

Jedes Jahr wendet die Erde wegen der Neigung ihrer Achse einmal die nördliche und einmal die südliche Halbkugel einer ständig zunehmenden Sonnenenergie zu. Diese Energie ist gewissermaßen der Treibstoff für das Naturschauspiel, das wir da draußen vor unserer Haustür als Frühling gerade erleben. Am Mittag des ersten Frühlingstages – des 21. März auf der nördlichen Halbkugel – fallen die Strahlen der Sonne senkrecht, das heißt mit all ihrer Energie, auf den Äquator. Von diesem Tag bis zur Sonnenwende, bewegt sich dieses stärkste Mittagssonnenlicht beständig auf den Pol zu und nährt dabei die Frühlings-Hemisphäre mit immer mehr Energie in Form von Licht und Wärme. Dieses Energie-Ereignis wirkt sich zuerst auf die Luft, die Erde und das Wasser aus. Auf dieser Grundlage erfolgt das Wieder-Erwachen des Lebens. Denn wenn diese grundlegenden Elemente „Schwung“ aufgenommen haben – wenn die Umgebung erwärmt und erhellt ist – wird als Folge davon auch die Welt der Lebewesen wieder wach. Neues Leben beginnt.

Was ich da gerade beschrieben habe, findet im Moment da draußen – im Makrokosmos – vor unser aller Augen in der freien Natur statt. Es hat allerdings interessanterweise seine Entsprechung im Mikrokosmos – also im Menschen. Denn jedesmal, wenn ein Kind geboren wird, geschieht im Prinzip genau dasselbe. Wie beim Frühlings-Erwachen offenbart sich nicht wirklich etwas vollkommen Neues. Die äußere Form ist neu – es kommen nicht wieder die alten Blätter an den Baum, wie auch das individuelle Selbst nicht wieder den selben Körper annimmt. Aber das innere Wesen, die Lebensenergie, der alles verursachende Impuls – das ist ein und dasselbe. Der ewige Geist des Lebens - mit aller Macht und Stärke erneut Form annehmend - tanzt eine weitere Runde in einem neuen, frühlingshaften Gewandt. Es ist der Zyklus des Lebens, es ist der Reigen des inneren Selbstes (Atman).

Im indischen Heldengesang Mahabharata – dem umfangreichsten Epos der Menschheit – stellt ein Yaksha (Halbgott der mit Bäumen und Bergen verbunden ist) König Yuddhishthira die Frage:

„Was ist das größte Wunder auf der ganzen Welt?“

Und Yuddhishthira antwortet:

„Ich sehe, dass alles und jeder auf dieser Welt dem ständigen Wandel unterworfen ist. Alles und jeder erfährt unausweichlich Entstehung und Vergehen, Geburt und Tod. Doch obwohl alle dieses unabwendbare Schicksal vor Augen haben, fragt niemand „Woher komme ich?“ oder „Wohin werde ich gehen, wenn ich diese Welt verlasse?“ Das ist in der Tat das größte aller Wunder! Sogar in der absoluten Gewissheit ihrer Auslöschung halten die Menschen nicht inne und stellen diese eine Frage aller Fragen.“

Als ich ein Kind war, war ich geradezu getrieben von diesen Fragen. Die Themen „Sterben und Tod“ – und „was sich wohl nach dem Tod ereignen möge“ – waren die ständigen Begleiter meiner Kindertage. Leider war da niemand, der mir eine auch nur annähernd sinnvolle Antwort auf diese überaus wichtigen Fragen hätte geben können. Meine Eltern? Die Erwachsenen überhaupt? Sie alle hatten in meinen Augen allein schon durch ihre knappen, unwirschen und unbrauchbaren Antworten ihre Unfähigkeit bewiesen. Bereits die Art und Weise ihres Antwortens zeigte mir, dass sie sich noch nie damit auseinander gesetzt hatten – waren ihnen die Dinge des alltäglichen Lebens doch so viel wichtiger.

So kam ich also nicht weiter. Und es war mir sehr wichtig in dieser Sache weiter zu kommen – bis zum heutigen Tag. Ohne das groß reflektieren oder verstehen zu können, zog es mich – ich scheue es mich nicht zu berichten – in die Kirche. Hier im Kindergottesdienst, in den man mich nicht erst schicken musste, denn ich ging gerne dorthin, fand ich den – vor allem inneren – Raum, über solche wichtigen Fragen nachzudenken. Allerdings kam ich hinsichtlich einiger Fragen auf ein völlig anderes Ergebnis als die Kirche und ihre Priester. Das quälte mich lange Zeit – aber ich konnte es nun mal nicht ändern. Die eine Frage Frage war: Gibt es „Seelenwanderung“? Das nannte man damals so.

Es ging mir also darum, ob nach dem körperlichen Tod die Seele wiederkehrt, einen neuen Körper annimmt und sich so immer wieder ein Stück weiter entwickelt, bis sie ihr Ziel – Gott zu erkennen - erreicht hat. Ich weiß noch, dass ich darüber nachdachte, ob unser Weg vielleicht darin bestünde, dass jede Seele jeder anderen existierenden Seele auf dieser Welt in Liebe zumindest einmal begegnen müsse, um ihr Ziel zu erreichen … Die Antwort der christlichen Kirchen in Bezug auf die Wanderung und das Wiederkommen der Seelen kennen wir. Die Antwort unserer modernen und „aufgeklärten“ Gesellschaft kennen wir auch. Mein tiefes Empfinden - als Kind und als Erwachsener – führten mich daher in eine andere geistig-spirituelle Richtung. Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Ist es nicht erstaunlich: Statt in unserem eigenen Inneren nach der Lösung dieses Rätsels aller Rätsel zu suchen, geben wir uns mit vorgefertigten Antworten und Vorstellungen zufrieden. Gerade unsere westliche Kultur ist nur allzu gerne bereit, uns zu sagen, wer oder was wir sind, warum wir uns in dieser Welt befinden und worum es auf dieser Welt und in diesem Leben geht. Ist das nicht auch der Nährboden unseres "modernen" Egoismus und unserer Rücksichtslosigkeit? Wenn ich die Vorstellung habe, dass dieses Leben hier und jetzt das einzige Leben ist, das ich je haben werde … tja, dann muss ich doch zugreifen – koste es was es wolle, koste es meine Seele, meine Liebe, einfach alles. Es ist nicht nur ein Werbespruch – es ist die Maxime unserer Zeit: „Du lebst nur einmal – greif also zu – und hol dir den Spaß und Genuss, den du kriegen kannst.“

Wieviel reicher und erfüllter – liebevoller, gütiger, herzlicher, offener, freigiebiger, furchtloser – könnte unser Leben sein, wenn wir dem Geheimnis unserer Existenz einmal wirklich auf die Spur kämen und die Wahrheit über Leben und Tod heraus fänden. Es geht folglich nicht nur einfach um Trost, wenn wir folgende Worte aus der Bhagavad Gita von Krishna hören – es geht um Inspiration, um eine erweiterte Sicht auf das, was uns möglich ist in diesem Universum. Übrigens: Diese Worte werden erteilt inmitten eines Kampfes, eines Aufschreis nach Beistand und Hilfe. Was hier zum Ausdruck kommt ist also keine „Schönwetter-Philosophie“, sondern die höchste und segensreiche Wahrheit, die uns konkret helfen kann, durch Lebenssituationen zu gehen, an denen wir sonst zerbrechen würden – Bhagavad Gita 2. 11 und 22:

Du klagst um jene, die du nicht beklagen solltest. Die Weisen trauern weder um Tote noch um Lebende. So wie ein Mensch abgetragene Gewänder ablegt, und neue anzieht, ebenso legt auch die Seele bei ihrer Verkörperung abgetragene Körper ab und geht in andere, neue, ein.

 

 

Und nächste Woche geht es weiter mit Teil 2 …