Ein paar Worte zum Thema "TANTRA" - 2 (2)

28.01.2015

 

Ein paar Worte zum Thema “TANTRA“ - 2 (2)


In diesem zweiten Abschnitt zum Thema „Tantra und der Gebrauch des Verbotenen“ möchte ich zu Beginn etwas aufgreifen, was ich gegen Ende des vorherigen Abschnitts mit folgenden Worten ansprach - „Nur dem, der sich ihnen (Geheimnisse, Erkenntnisse und Kräfte des Tantra) in Geduld, Ernsthaftigkeit und innerer Bereitschaft, einen langen und anspruchsvollen Weg auf sich zu nehmen, nähert, offenbaren sie sich“. Hier geht es um etwas ganz und gar Prinzipielles – um eine grundlegende Haltung. Diese Haltung betrifft generell den spirituellen Weg, ganz besonders den Weg des Yoga – die Yoga-Sadhana. Was diese grundlegende Haltung – die nebenbei bemerkt etwas mit dem außer Mode gekommenen Begriff DEMUT zu tun hat – mit dem vorliegenden Thema verbindet, möchte ich kurz am Beispiel meiner eigenen „Tantra-Geschichte“ verdeutlichen.

Sicherlich – es lässt sich jederzeit ein Buch über Tantra lesen, eines der vielen Seminare über Tantra (oder besser „Neo-Tantra“) besuchen oder einem Vortrag über dieses Thema beiwohnen – gehalten von einem der vielen hiesigen sogenannten „Tantra-Lehrer“. Es gibt so vieles, was unter dieser Bezeichnung angeboten wird. Irgendwas mit Tantra geht immer. Das war damals in den 80ern, als ich noch Student der Indologie in Heidelberg (Süd Asien Institut) war, nicht so viel anders. Aber schon zu dieser Zeit war mir klar, dass ich an die uralten und doch immer noch höchst aktiven Quellen würde gehen müssen, um etwas Wahres, Lebendiges und Tiefes über die Lehren und Praktiken dieser einzigartigen Tradition herauszufinden oder gar unmittelbar erfahren zu können.

Und dazu fand sich auch die Gelegenheit. Denn um meine Kenntnisse unter anderem in Sanskrit und indischer Philosophie zu vertiefen – und natürlich auch wegen einer unserer Professoren, der dort seinen zweiten Wohnsitz hatte (ein Schelm, wer da an Einschmeichelei denkt) – lebte, studierte und arbeitete ich 1988-89 in der westindischen Stadt Pune (Poona), genauer gesagt an der altehrwürdigen Universität von Pune. Was diese Stadt, sowie die weitreichende Umgebung allerdings mit Tantra zu tun hat, sollte ich erst im Laufe der Zeit in Erfahrung bringen. Zunächst versuchte ich als Studierender an der Universität mehr über Tantra herauszubekommen, weil ich schon zu Beginn meines Studiums den Entschluss gefasst hatte, über dieses Thema meinen Abschluss zu machen.

Aber es war alles andere als einfach, die entsprechenden Kontakte zu bekommen … ohne die in Indien so gar nichts läuft. Da mag vielleicht so mancher, der dies hier liest, denken „Naja, in Poona gibt es doch diesen bekannten Ashram des Herrn Osho“. Doch damit wäre mir kaum geholfen gewesen, denn ich suchte Zugang zum echten und wahren Tantra – nicht zum modernen Neo-Tantra. In der großen Stadt (mittleweile über 3 Mio. Einwohner) und in der weitreichenden Umgebung suchte ich die erste Zeit allerdings vergeblich. Obgleich ich mich – wie mir viele indische Bekannte, Freunde und Lehrer versicherten, direkt an der Quelle befand, da Pune eigentlich schon immer eine der Hochburgen der Tantriker war. Dennoch schien es mir wie verhext, da alle Türen nicht nur verschlossen blieben, sondern sogar im selben Moment vor meiner Nase zugingen, als ich um Einlass bat.

Nun, solche Erfahrungen – ich ahnte es damals, doch heute weiß ich es – sind kein Zufall. Tantra wird in Indien – dem Mutterland dieser traditionsreichen Lehre – zuweilen ganz anders verstanden, als hier im Westen. Konzepte wie „Weißes Tantra“, „Schwarzes Tantra“, „Rotes Tantra“ interessieren hier kaum. Da jedoch in jedem Fall gewaltige Kräfte mit im Spiel sind, gibt es gewisse „Zugangs-Bestimmungen“. Wie heißt es so schön in einem Buch aus einer ganz anderen Tradition „Viele fühlen sich berufen, aber wenige sind auserwählt“. Es wird also nicht jeder und schon gar nicht stehenden Fußes zugelassen. Aus gutem Grund war das schon immer so!

Doch erfuhr ich im Laufe der Zeit noch etwas weitaus Entscheidenderes: Die höheren und höchsten tantrischen Weihen betreffen ohnehin nur noch den ZUGANG INS EIGENE INNERE. Alles was zu Beginn der tantrischen Sadhana an äußeren Ritualen und Energien sowie körperbezogenen Reinigungen und Übungen durchgeführt wurde, wird im weiteren Verlauf - mit Unterstützung höchster Segenskraft (Shaktipat) - in sublimierter Form im inneren Bewusstsein durchgeführt. Denn im Inneren befindet sich das Licht, der Zugang zur höchsten Freiheit. Alles andere lässt der höher entwickelte Schüler des Tantra weit hinter sich. Übungen, die diesen höchsten Pfad des Tantra betreffen, findet man übrigens im VIJNANA BHAIRAVA TANTRA, das durchaus auch in deutscher Übersetzung vorliegt - und mit dem ich vorzugsweise in meinen Tantra-Seminaren arbeite.

Nun wird vielleicht klar, warum sich das Geheimnis des Tantra nicht in einem „Wochenend-Streichel-Seminar“ ergründen lässt – und warum Tantra für die allerwenigsten von uns irgendetwas mit Sexualität zu tun hat. Wer jedoch letzteres noch immer nicht fassen kann, für den oder die hier noch einmal die Zusammenfassung zu diesem Thema aus meinem „Großen-Kundalini-Buch“.

In den wenigen Werken des Tantra, in denen sexuelle Rituale beschrieben sind, ging und geht es also überhaupt nicht um die Erlangung von Lust („Kama) oder Lustgewinn, sondern immer nur darum, einen Weg zur Erleuchtung, bzw. zur Erkenntnis des höchsten Bewusstseins zu finden. Des weiteren muss man wissen, dass – z.B. in den Ritualen der tantrischen Kaula-Tradition – zwar von sexuellen Ritualen die Rede war. Doch gemeint war damit ein verinnerlichtes, also im Geist durchgeführtes, Ritual.

Ich will also nicht verleugnen, dass es im Tantrismus auch zur Durchführung von sexuellen Ritualen kam (und möglicherweise noch immer kommt). Doch geschah dies unter strengsten Auflagen und Einschränkungen:

1. Es wurde in nur sehr seltenen Fällen praktiziert.

2. Es betraf nur ausgesuchte und spirituell hoch entwickelte Schüler.

3. Es zielte immer – wie der große Meister und Philosoph des Shivaismus von Kaschmir Abhinavagupta in einigen seiner Werke in diesem Zusammenhang ausdrücklich bemerkte – auf die Erweckung der inneren kosmischen Energie Kundalini ab.

Im Vergleich zu heute, war zur Zeit der Entstehung der tantrischen Rituale die Haltung der Menschen gegenüber der Sexualität eine andere. Um dies zu verstehen, müssen wir uns von unserer heutigen Auffassung gegenüber der Sexualität, einer Auffassung die durch gewisse Entwicklungen im modernen 20. Jahrhundert geprägt wurde, ein wenig lösen. Denn zur Zeit der Entstehung des Tantrismus wurde der sexuelle Akt quasi als eine sakrale Handlung erachtet – als ein Akt, in dem auf menschlich-mikrokosmischer Ebene der große Akt der Schöpfung des Universums symbolisch wiederholt wird.

Es wäre nun allerdings falsch, zu behaupten, dass die kosmische Schöpfung ebenfalls ein Akt der Sexualität ist - wie das häufig in westlichen Esoterik-Kreisen getan wird. Der menschliche Geschlechtsakt kann also nicht mit dem Schöpfungsakt gleichgesetzt werden. Er ist nicht mit ihm identisch. Auch die in diesem Zusammenhang häufig geäußerte Behauptung, dass die sexuelle Energie mit der Shakti – der Energie des höchsten Bewusstseins – identisch sei, ergibt keinen Sinn, bzw. erklärt nichts, da es in diesem Universum ja gar nichts anderes als diese höchste Energie (Shakti)gibt.

Spiritualität und Sexualität werden also im Tantra nicht gleichgesetzt. Sexualität war und ist nach Auffassung der tantrischen Lehrer etwas Besonderes, insofern es den göttlichen Akt der Schöpfung imitiert. Wie nach ihrem Verständnis das menschliche Leben mit all seinen endlichen und begrenzten Realitäten immer das Absolute nachbildet. In der Bibel heißt es „Und Gott schuf den Mensch zu seinem Bilde“ (1. Mose 1. 27). Auch dieser Satz ist Hinweis darauf, dass die gesamte menschliche Existenz – und damit auch all all unsere Handlungen – Ausdruck unserer Zugehörigkeit zum Göttlichen, Absoluten, schöpferischen Bewusstsein ist. Nicht das äußere „Bild“ ist gemeint, sondern das innere – um Wesensgleichheit geht es hier. Wir Menschen bilden daher nach tantrischer Auffassung auch in unseren Handlungen auf begrenzter, individueller Ebene den Prozess des universalen göttlichen Schaffens nach.

Es ist also diese schier unermessliche kreative, göttliche Energie, die im Zentrum des tantrischen Interesses steht – nicht der vergleichsweise unbedeutende, menschliche Orgasmus. Wie überhaupt die Ausrichtung des gesamten tantrischen Strebens niemals genussbezogen war. Es ist für unser weiteres Verständnis und Praktizieren des tantrischen Weges sehr wichtig dies zu begreifen:

Um es also noch einmal zusammen zu fassen –

1. Nicht die Sexualität und Spiritualität als solche sind nach Auffassung der tantrischen Tradition identisch, sondern deren jeweiliger Ursprung – das höchste, schöpferische Bewusstsein.

2. Sinn und Zweck dieser höchst seltenen sexuellen Rituale, die nur für wenige auserwählte und äußerst fortgeschrittene Schüler vorgesehen sind (und übrigens immer unter strenger Aufsicht des Gurus stattfinden), war und ist nicht der sexuelle, sondern der geistig-spirituelle Höhepunkt, die Vereinigung mit dem Absoluten.

 

Übrigens: Erst Jahre später, nachdem ich lange Zeit schon aus Pune zurück gekehrt war, verstand ich, dass ich mich bereits auf dem inneren Pfad des Tantra befand … und der „Kontakt“, den ich in Pune gesucht hatte, schon längst in meinem Leben existent und wirksam war … aber darüber werde ich in einem anderen Artikel berichten.