YOGA IST .... Der Gleichmut und die Hingabe des Franziskus von Assisi

03.07.2014

 

YOGA IST .... Der Gleichmut und die Hingabe des Franziskus von Assisi

 

In diesem Titel ist eigentlich schon alles enthalten, worum es im vorliegenden Beitrag geht: Die grundlegenden Lehren des Yoga lassen sich in allen spirituellen Traditionen dieser Welt und bei vielen ihrer bedeutenden Vertreter wiederfinden. Diejenigen von uns, die aus der abendländisch-christlichen Kultur kommen und nun den Weg des Yoga gehen, können daher viel von der Weisheit des Yoga auch in ihrer „eigenen“ Tradition entdecken - so zumindest erging es mir, als ich nach langem Studium und intensiver Erforschung der Yoga-Traditionen aus Indien zurück nach Hause kam.

Ein herausragendes Beispiel für dieses „Yoga-ist-überall“ ist das Leben und Wirken des Heiligen Franziskus (1182–1226), der das, was wir im Yoga „Bhakti“ nennen – Hingabe und Teilhabe am Göttlichen – in grenzenloser und für uns alle vorbildlicher Weise tagtäglich lebte. Das Besondere an ihm war, dass er seine Liebe für Gott nicht mit irgendwelchen Begrenzungen versah, sondern buchstäblich als grenzenlos verstand, erfuhr und lebte. Und zwar indem er diese Liebe bedingungslosen auf alles in seinem Leben richtete – auf jedes Ereignis, auf alle Lebensumstände, auf alle Lebewesen, auf die gesamte Natur – so wie es auch die Bhagavad Gita lehrt. Er lebte die Vereinigung der Gegensätze und erfülle auf diese Weise, was der große indische Philosoph Radhakrishnan im Zusammenhang mit den Bhakti-Lehren der Bhagavad Gita einmal zum Ausdruck brachte: :

„Wenn wir in allen Dingen das eine Selbst erblicken, ergibt sich Gleichmut, Freiheit von selbstsüchtigen Begierden, Auslieferung unserer ganzen Natur an den innewohnenden Geist und Liebe zu allen Wesen. Wenn diese Eigenschaften offenbar werden, ist unsere Hingabe vollkommen, sind wir Menschen Gottes. Unser Leben wird dann nicht von den Kräften der Anziehung und der Abstoßung, der Freundschaft und der Feindschaft, der Freude und des Schmerzes geleitet, sondern allein von dem Bedürfnis, sich Gott und damit dem Dienst an der Welt, die mit Gott eins ist, hinzugeben.“

Als unvergleichliches Zeugnis seines alles umfassenden Gleichmuts und seiner grenzenlosen Liebe zu Gottes Schöpfung hat er uns dieses weltberühmte Lied oder Gedicht hinterlassen – DER SONNENGESANG (im altitalienischen Original: Il Cantico di Frate Sole) – das er am Ende seines Lebens schrieb, vermutlich Ende 1224 oder Anfang 1225, als er schwer krank in San Damiano bei Assisi in seiner kleinen Hütte lag.

 

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne;
er ist der Tag, und du spendest uns das Licht durch ihn.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz,
dein Sinnbild, o Höchster.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft
und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernähret und trägt
und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.

Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.
Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.

Lobt und preist meinen Herrn
und sagt ihm Dank und dient ihm mit großer Demut.