Shiva und Shakti - Die allgegenwärtigen Eltern des Universums

03.04.2014

 

Shiva und Shakti - Die allgegenwärtigen Eltern des Universums

Shiva und Shakti sind das diametral entgegengesetzte und zugleich sich ergänzende Paar, das – nach den Lehren des Yoga und anderer indischer philosophischer Traditionen - das Fundament allen Lebens und allen Seins in diesem Universum bildet. Diese beiden sind per se die Polarität und Dualität, die wir gerade jetzt in diesem Moment, da wir dieses lesen, wie auch in jedem anderen Moment unseres Daseins, spüren und erleben. Sie offenbaren sich uns in jedem Augenblick im Großen wie im Kleinen – beispielsweise als Tag und Nacht, Tod und Leben, Gut und Böse, Freude und Leid, Gefangenschaft und Befreiung, Anfang und Ende der Schöpfung. 

Die großen Weisen, Meister und Yoga-Philosophen Indiens nannten sie die „Eltern des Universums“. Doch sind sie nicht nur die Eltern des gewaltigen äußeren Universums, sondern auch die unseres, vielleicht noch gewaltigeren, inneren Universums, also unserer feinstofflich-geistigen inneren Welt. Sie sind die Eltern eines jeden von uns, denn sie bringen die subtilen Dimensionen unseres Körper-Geist-Systems, mit all seinen feinstofflichen und grobstofflichen Bestandteilen und Organen, hervor. 

Bereits in den alten indischen Weisheitstexten, den Upanishaden, finden wir Aussagen hierzu, wie z.B. in Chandogya Upanishad 8. 1. 3, wo es heißt: 

„So weit in der Tat dieser äußere Raum (Universum) sich erstreckt, so weit erstreckt sich auch dieser Raum des Inneren im Menschen. Darinnen sind beide enthalten - Himmel und Erde, beide - Feuer und Wasser, beide - Sonne und Mond, der Blitz und die Sterne. Was immer von ihm (Höchstes Absolutes) hier in der äußeren Welt (Makrokosmos) existiert, all dies ist ebenso im Mikrokosmos des Menschen enthalten."

„Himmel“ und „Erde“, von denen hier die Rede ist, sind die Regionen, wo sich nach Auffassung und Erfahrung der Yogis der Bereich von Shiva und Shakti befinden. Und die sind nicht irgendwo im äußeren Kosmos zu finden. Wie immer im Yoga sind innere Regionen oder Dimensionen gemeint. Himmel bezeichnet den Wohnort Shivas in uns. Gemeint ist natürlich der Sahasrara, bzw. das Sahasrara-Chakra, der tausendblättrige Lotos im bzw. über dem Scheitelpunkt des Kopfes. Hier ist der Bereich des Absoluten, des höchsten Bewusstseins. Shakti, die Mutter des äußeren Universums, hat ihren Wohnort auch in unserem Inneren, und zwar entgegengesetzt zu ihrem Gatten, am unteren Ende der Wirbelsäule.

An diesem Ort, im Muladhara-Chakra, hat sich Shakti als Kundalini (wörtlich: „die Zusammengerollte“) dornröschengleich – am Ende des von ihr hervorgebrachten Involutionsprozesses – schlafen gelegt. Hier unten also ist der geheimnisvollste aller Orte des Universums. Denn hier ist der Prozess der Schöpfung zur Vollendung gekommen – was gleichbedeutend ist mit unserer Entstehung als Individuum bzw. als Seele, aus dem unendlichen, göttlichen Bewusstsein. Und hier ist es auch, wo irgendwann, nach vielen Inkarnationen, das Individuum – wir alle – den allentscheidende Impuls verspürt ... endlich ... aufzuwachen. Tja... und dann beginnt die letzte Stufe auf der Leiter der Evolution. Und es geht zurück nach Hause.

Shiva und Shakti – erscheinend als zwei obwohl niemals getrennt und in Wirklichkeit eins – sind also unsere wahren Eltern. Als solche wurden sie vor vielen Hunderten von Jahren von dem großen Meister der Kundalini und Dichter Jnaneshwar (13. Jh., wörtlich: „Herr der höchsten Erkenntnis“) in einem seiner ergreifendsten und berühmtesten Gedichte (in dem philosophischen Werk Amrit-Anubhava, "Nektar der Erkenntnis des Höchsten Selbsts") auf folgende Weise gepriesen:

 

„Ich bringe dem höchsten Gott und der höchsten Göttin


meine Verehrung dar.


Den grenzenlosen, uranfänglichen Eltern des Universums.


Der Liebende ist aus unbegrenzter Liebe zur Geliebten geworden.


Beide bestehen aus der selben Substanz.


Beide teilen dasselbe Mahl.


Aus Liebe zueinander vereinigen sie sich.


Und wieder trennen sie sich – aus schierer Freude zwei zu sein.


Es ist Shiva allein, der in allen Formen lebt.


Er ist beides: das Weibliche und das Männliche.


Es ist wegen der Vereinigung dieser beiden Hälften,


dass das Universum existiert.


Zwei Instrumente – ein Ton.


Zwei Blüten – ein Duft.


Zwei Leuchten – ein Licht.


Zwei Lippen – ein Wort.


Zwei Augen – ein Blick.


Diese beiden – ein Universum.“