AUS AKTUELLEM ANLASS – Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –3 (3)

15.11.2014


AUS AKTUELLEM ANLASS -

Mahatma Gandhi und die Bhagavad Gita –3 (3)

 

Die Bhagavad Gita war eines der - und das ist wörtlich zu verstehen - grundlegenden Werke meines Studiums an der Universität Heidelberg. Nicht nur, weil ich sie bereits bis zur Zwischenprüfung mehrfach aus dem Sanskrit-Original „hinauf-und-hinunter-übersetzen“ musste – sie ist nun mal d e r Prüfungstext bei den Indologen. Sondern auch, weil gerade durch ihre Lektüre mein Studium und mein spiritueller Weg höchst fruchtbar miteinander verknüpft wurden. Sie zu lesen und zu übersetzen bedeutete für mich immer wieder beides zu erweitern: wissenschaftliche Erkenntnis und spirituelle Erfahrung - Kopf und Herz.

Ich kann mich noch lebhaft erinnern, wie wir als Studenten wieder und wieder an der Fragestellung – vor allem deren Beantwortung – geradezu zerbrachen, wie man es wohl anstellen könnte oder müsste, diese hohen Lehren auch wirklich zu leben, in den Alltag erfolgreich zu übertragen, mit Leben zu füllen. Dass dies der „schwierigste Teil der Bhagavad Gita“ sein würde, war uns relativ schnell klar. Denn die Lehren dieses bekanntesten aller indischen Werke sind aus philosophischer Sicht zwar leicht im Sinne von „leicht zu verstehen“, aber alles andere als einfach, im Sinne von „einfach zu leben“.

Mahatma Gandhis Aussagen und praxisbezogener Umgang im Zusammenhang mit der Gita gibt uns dies bezüglich jedoch einiges an Hoffnung mit auf den Weg. Sein Leben zeigt, wie sich durch Beharrlichkeit und vor allem Disziplin die Lehren Schritt für Schritt umsetzen lassen. Auch wenn man bei dem Prozess der Umsetzung immer wieder Rückschläge einstecken muss. Gandhi selbst war übrigens der Auffassung, dass dieser praktische Aspekt des spirituellen Lebens von zentraler Bedeutung ist. Wahre Religion, wahre Spiritualität, war für ihn eine Sache des Handelns. So sagte er:

„Etwas, das sich nicht im Alltag befolgen lässt, kann man nicht als Religion bezeichnen.“

Die Grundlagen für diese wahre Religion waren für ihn folgende in der Gita häufig genannte Lehren: „selbstlose Verrichtung aller Handlungen“, „Verzicht auf die Früchte solcher Handlungen“, „den Geist von seinen Negativitäten zu läutern“, „die Göttlichkeit in jedem und allem zu erkennen“ und „durch ein diszipliniertes Leben entsprechend den Prinzipien der Gewaltfreiheit zu handeln“.

Für Mahatma Gandhi waren dies nicht nur irgendwelche groben Richtlinien. Er lebte gemäß dieser Prinzipien. Sein Leben war – und ist für uns bis heute – ein exemplarisches Beispiel, wie die Rechtschaffenheit (der Dharma, gemäß den ethischen Lehren Indiens die Grundlage allen Lebens in dieser Welt) – durch die tägliche Anwendung der praktischen und ethischen Lehren der Gita aufrecht erhalten wird. Der Begriff Dharma stammt von der Sanskritwurzel √dhr und bedeutet wörtlich „Stütze, Grundlage, Recht“, bezieht sich also auf jene universelle Grundlage des Lebens und der Natur, ohne die nichts in dieser Welt wirklich „rund läuft“. Weshalb gerade wir als Menschen den Dharma – die Recht-Schaffenheit – zur Grundlage unseres Handelns machen sollten. Dharma war für Gandhi etwas höchst Lebendiges und nicht nur ein von der Gita gelehrtes Ideal, eine Philosophie oder gar nur ein philosophischer Begriff, weshalb er sagte:

„Sprache ist eine Begrenzung der Wahrheit. Für die Wahrheit kann nur das Leben selbst stehen“.

Wie sehr Mahatma Gandhi die Lehren der Bhagavad Gita als Grundlage für (s)ein Leben erachtete, zeigen folgende Auszüge aus Werken von ihm. Darin enthalten ist in klaren Worten die Quintessenz der Gita. Wir erfahren aber auch etwas über das dazugehörige Spannungsfeld der Praxis – in das wir unweigerlich geraten, sobald wir versuchen diese Worte wirklich in die Tat umzusetzen:

 

„Welche Wirkung diese Lektüre der Gita auf meine Freunde hatte, vermögen nur sie selbst zu sagen. Für mich jedoch ist die Gita eine unfehlbare Anleitung zur Lebenshilfe geworden. Sie ist mein täglich genutztes Nachschlagewerk. Ebenso wie ich das englische Wörterbuch zur Hand nahm, um die Bedeutung englischer Begriffe nachzuschlagen, die ich nicht verstand, nahm ich dieses Lexikon der Lebensführung zur Hand, um eine darin parate Lösung für alle meine Schwierigkeiten und Prüfungen zu finden. Worte wie Aparigraha (Besitzlosigkeit) und Samabhava (Ausgeglichenheit) packten mich regelrecht. Wie sollte man diese Ausgeglichenheit kultivieren und erhalten, das war die Frage. Wie sollte man beleidigende, unverschämte und korrupte Beamte, Mitarbeiter vom Vortag, die eine sinnlose Opposition schürten und Menschen, die immer gut zu einem waren, genauso behandeln? Wie sollte man sich aller Besitztümer entledigen?

„In der Gita steht: – Tu die dir zugewiesene Arbeit, doch entsage ihren Früchten. Sei losgelöst und arbeite. Habe keinen Wunsch nach einem Lohn und arbeite. – Dies ist die unverkennbare Lehre der Gita. Wer das Handeln aufgibt, kommt zu Fall. Wer stattdessen den Lohn aufgibt, steigt empor. Doch der Verzicht auf die Früchte bedeutet nicht Gleichgültigkeit gegenüber dem Ergebnis. In Hinblick auf jede Handlung muss man das Ergebnis erkennen, die Mittel hierzu und das Vermögen sie durchzuführen. Wer derart gewappnet das Ergebnis nicht begehrt und dennoch völlig vertieft in die Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben ist, hat, so sagt man, den Früchten seiner Handlungen entsagt.“

„Von Anfang an, seit ich 1889 Bekanntschaft mit ihr machte, ist die Gita für mich wie eine Mutter gewesen. Bei jeder Schwierigkeit wende ich mich ihr zu, um mich von ihr leiten zu lassen, und die gewünschte Führung ist immer da gewesen. Aber du musst dich Mutter Gita in aller Ehrerbietung nähern, willst du von ihrer Fürsorge etwas haben. Wer den Kopf auf ihren friedenschenkenden Schoß legt, wird nie enttäuscht, sondern erfreut sich vollendeten Glücks. Diese spirituelle Mutter gibt dem, der sie verehrt, in jedem Augenblick seines Lebens neues Wissen, neue Hoffnung und Kraft.“

 

Mit diesen außerordentlichen Erfahrungen, die Mahatma Gandhi mit der Bhagavad Gita machte, mag es wohl auch zusammen hängen, auf welche Weise er diese Welt verließ – nämlich indem er jede Kugel, die in jenem Garten am 30. Januar 1948 auf ihn abgefeuerte wurde und in seinen Körper drang, voller Demut mit seinem persönlichen Mantra entgegen nahm -

„Ram, Ram“ …..