Die Jnaneshvari - Einzigartiges Meisterwerk des Kundalini-Yoga-1

06.05.2014

 

Die Jnaneshvari - Einzigartiges Meisterwerk des Kundalini-Yoga -1

 

Unter all den großen Nath-Yogis und Kundalini-Meistern vergangener Jahrhunderte ist Jnaneshvar wohl der Außergewöhnlichste und ... Jüngste. Die Menschen nannten und nennen ihn noch heute Jnaneshvar Maharaj, den “Herrn und großen König der höchsten Erkenntnis”. Obgleich er nachweislich nur 23 Jahre (!) alt wurde. Denn in diesem Alter - nachdem er unter anderem mehrere äußerst umfangreiche philosophische Bücher und Hunderte von Gedichte verfasst und eine heute Millionen von Menschen umfassende Bhakti-Bewegung begründet hatte - sah er sein Lebenswerk als vollendet und vereinte sich willentlich mit dem Absoluten.

Er kam 1271 in dem Gebiet des heutigen Staates Maharashtra (Westindien) zur Welt und sein Leben war ein Feuerwerk von ungewöhnlichen Ereignissen und Taten. So führte er schon als Jugendlicher seine eigene Muttersprache, Marathi, als Sprache der Philosophie, Literatur und Religion ein. Das war höchst ungewöhnlich für die damalige Zeit, denn ähnlich wie hier in Europa das Latein die Sprache der Priester und Gelehrten war, so war in Indien ausschließlich das Sanskrit die Sprache, in der die heiligen und philosophischen Texte verfasst waren und rezitiert wurden.

Doch um allen Menschen, auch dem einfachen Volk, Gott bzw. das Göttliche unmittelbar erfahrbar zu machen, schrieb Jnaneshvar im Alter von nur 19 Jahren einen der maßgeblichen und berühmtesten Kommentare zu Bhagavad Gita. Dieser Kommentar ist bis heute in West-Indien eines der populärsten und meist gelesenen spirituellen Werke – die Jnaneshvari oder auch Bhavartha Dipika. Mit diesem umfassenden Werk (1788 Doppelversen) – einer äußerst yogischen und tantrischen Auslegung der Bhagavadgita, legte Jnaneshvar den Grundstein zur Marathi-Literatur. 

Eine der Besonderheiten der Jnaneshvari ist die detaillierte Beschreibung der Kundalini-Shakti und ihrer Erweckung. In zuvor nie da gewesener Offenheit, Lebendigkeit und Präzision nimmt der große Meister Jnaneshvar Maharaj den Leser mit auf eine atemberaubende Reise in die Tiefen des feinstofflichen, absoluten  Universums – und lässt ihn durch die Macht und Schönheit seiner Worte quasi an der göttlichen Erfahrung als Kundalini-Schüler teilhaben. So betrachtet ist die Lektüre des nun folgenden Ausschnitts aus dem berühmten Kommentar des 6. Kapitels der Jnaneshvari die seltene Gelegenheit, eines der echten Originalwerke der uralten Kundalini-Tradition unmittelbar zu erleben.

Allerdings gilt zu beachten, dass die von einem tantrischen Meister wie Jnaneshvar verwendete Sprache für den Uneingeweihten nicht so leicht verständlich ist. Erst durch mehrmaliges, intensives und kontemplatives Lesen besteht die Chance, dass sich die Geheimnisse in unserem Inneren offenbaren. Dabei geht es Jnaneshvar weniger um ein „Verstehen“ der Worte, als vielmehr um ihr „Erfühlen“, wie er es selbst ausdrückte:

„Meine Sprache, Marathi, so einfach sie auch scheint, wird selbst über den Nektar der Unsterblichkeit siegen. Hierfür werde ich  Worte des Gefühls formen.“

Beginnen wir nun mit einer der ungewöhnlichsten und doch erhabensten Formen der Kundalini-Meditation, bei der die Worte des unsterblichen Meisters in uns lebendig werden.

 

Jnaneshvari (Verse 211-292) zu BvG 6.14 –

 

Dann erscheinen die Zeichen des Yogischen Erlebens äußerlich im Körper, und innerlich hört der Geist (Manas) auf zu funktionieren.

Die Gedanken versiegen, die mentale Energie erstirbt, und Körper und Geist finden Ruhe.

Hunger ist vergessen und Schlaf verschwindet. Sogar die Erinnerung an sie ist verloren. Keine Spur von ihnen ist geblieben.

Die sich abwärts bewegende, im Körper eingeschlossene Vitalkraft (Prana) kehrt zurück. Indem sie zusammengepresst wird, kehrt sie zurück.

Indem sie mehr und mehr aufgewühlt wird, in dem freien Raum oben, grollt und kämpft sie gegen den Solar Plexus.

Wenn der Kampf nachlässt, zittert der Körper bis ins Mark. Auf diese Weise werden die Unreinheiten aus der Kindheit (= Karma) ausgestoßen.

Anstatt sich nach unten zu wenden bewegt sie (Vitalkraft/Prana) sich in das Innere des Körpers und stößt die Körpersekrete hinaus.

Sie entlässt den Ozean der Körperflüssigkeiten, verringert das Fett und zieht sogar das Mark aus den Knochen.

Sie macht die Arterien frei und lockert die Körperglieder. Der Suchende (Kundalini-Yogi) sollte sich nicht gestatten hierüber in Furcht zu geraten.

Sie offenbart und beseitigt Krankheiten und regt die Elemente Erde und Wasser (usw.) an.

Oh Arjuna, die Hitze, die durch die Praxis dieser Sitzhaltung (aufrechter Sitz mit auf Nasenspitze fixierten Augen) erweckt die Kraft namens ‚Kundalini’.

So wie die Brut einer weiblichen Schlange, in Turmaric (Curcuma) gebadet, zusammengerollt schlafend da liegt,

Ebenso liegt Kundalini da, sehr klein und dreieinhalbfach zusammengerollt, wie eine weibliche Schlange, mit ihrem Kopf nach unten.

Sie ist wie ein Ring aus Blitzen, formt ein flammendes Feuer, oder ein Stab aus reinem Gold.

Fest gebunden mit Schnüren, ist sie eingeschlossen zwischen zwei Falten. Aber wenn sie durch die Vajra-Sitzhaltung (Vajrasana) zusammengepresst wird, erwacht sie.

Dann - wie ein Stern (= Komet), der durchs All schießt, wie die Sonne, die von ihrem Wohnort am Himmel fällt, oder ein Lichtpunkt, der wie ein aufplatzender Samen hervorbricht,

- zerbricht sie ihre Fesseln, packt den Körper und erscheint in der Region des Nabels,

Viele Jahre hungerte sie nach dieser Erweckung. Wenn sich das ereignet, öffnet und streckt sie ihr Maul mit großer Gier nach oben hin.

 

Eine gute, international anerkannte Englisch-Übersetzung der Jnaneshvari, die ich hier empfehlen möchte, ist die einer meiner Lehrerinnen - Swami Kripananda.

 

Fortsetzung folgt in Kürze ..........