Der tanzende SHIVA ... bist DU! -1

17.04.2014

 

Der tanzende SHIVA ... bist DU! -1

 

- nartaka atma - „Das Selbst (Atman) ist der Tänzer.“

                                                                       Shiva Sutra 3.9

Allgemein bekannt und beliebt – nicht nur in Yogakreisen und bei Indienkennern – ist die Figur des tanzenden Shiva – Shiva Nataraj. Dabei handelt es sich nicht nur um eine hübsche Figur, nebenbei bemerkt: eine der faszinierendsten Darstellungen des Göttlichen weltweit – sondern um eine Veranschaulichung der „fünf kosmischen Funktionen“ des göttlichen Bewusstseins. Als da sind:

  1. die Erschaffung,
  2. die Erhaltung
  3. die Auflösung
  4. die Verhüllung
  5. das Gewähren der göttlichen Gnade.

Zunächst findet sich die Erschaffung, Schöpfung oder Emanation des Universums dargestellt durch Shiva, der eine kleine Trommel zum Ertönen bringt. In der einen Hand hält er die für die indische Puja so typische Trommel, die in der Hand gedreht und dadurch über zwei umherschwingende Klöppel angeschlagen wird. Dies symbolisiert die in Erscheinung tretende Welt – auf der Grundlage des Nada, des göttlichen Klanges – und zwar von der höchsten und subtilsten Ebene (Para) bis hin zur gröbsten Ebene, dem Klang, den wir hören können.

Das höchste Bewusstsein (Parama Shiva) hält all das natürlicherweise auch aufrecht. Diese zweite Funktion wird dargestellt durch die Mudra oder Geste der Furchtlosigkeit (Abhaya). Die Abhaya-Mudra besteht in der erhobenen und dem Betrachter zugewanden Handfläche. Diese Geste als Ausdruck des Gewährens von Furchtlosigkeit ist wohl sehr archaisch, da man sie in vielen Kulturen finden kann. Man denke beispielsweise an jene Jesus-Darstellungen, in denen Jesus mit genau dieser Geste den Segen und die Kraft zur Furchtlosigkeit erteilt („Fürchtet Euch nicht!“). Wer erkennt, dass das höchste Bewusstsein, das identisch ist mit unserem inneren Selbst, alles in Gang hält, verliert für immer jedwede Furcht. Furcht hat immer etwas mit der Wahrnehmung von Verschiedenheit bzw. dem Nicht-Erkennen der Einheit zu tun. 

Die dritte kosmische Handlung ist die Auflösung, dargestellt durch das Feuer. Nach landläufiger Auffassung ist Shiva in erster Linie der „Zerstörer“.  Aber zum einen ist Shiva eben nicht nur der Zerstörer, sondern auch der Zerstörer. Und zum anderen erfasst der Begriff „Zerstörung“ nicht wirklich das, was mit „Auflösung“ gemeint ist. Auflösung (Skt. Samhara) ist hier im Sinne von Absorption und Rückführung in den Zustand des undifferenzierten, transzendenten Bewusstseins von Parama-Shiva zu verstehen. Alles, was sich in diesem Universum ereignet – auch seine Auflösung – ist nichts anderes, als eine fortwährende Transformation von einem Zustand des Bewusstseins in einen anderen. Das betrifft im Übrigen auch unser individuell-menschliches Leben und dessen Auflösung – unseren Tod. Die äußeren Formen verändern sich – die allem zugrunde liegende „Substanz“ ist immer die selbe. 

Diese drei Schritte werden in der shivaitischen Philosophie und Spiritualität als Schritte eines fortwährend stattfindenden, kosmischen Tanzes betrachtet. Allerdings gibt es dabei keine zeitlich festgelegte Schrittfolge, wie bei einem „gewöhnlichen“ Tanz. Auf die Erschaffung folgt nicht immer die Erhaltung und auf die Erhaltung nicht in jedem Fall die Auflösung. Dieser kosmische Tanz ist weitaus komplexer. Das Hervorgehen von etwas mag auf der Grundlage der Auflösung von etwas anderem erfolgen. Unser Sonnensystem zum Beispiel wäre ohne die Auflösung von anderen Sonnen oder Sternen nicht möglich. Wir wissen heute, dass bestimmte Elemente auf der Erde (beispielsweise Gold) von Galaxien stammen, die vor langer Zeit und weit von uns entfernt „starben“. Ebenso können wir auch ohne jede Übertreibung sagen, dass wir alle aus Sternenstaub bestehen. 

Bevor wir nun zu den beiden anderen kosmischen Handlungen kommen, noch eine Bemerkung zu einem wichtigen Aspekt des Shiva Nataraj, der sich nicht durch eine  Geste des Handelns von Shiva erschließt, und der dennoch von großer Bedeutung ist. Was ich meine, ist das Lächeln in Shivas Gesichtsausdruck. Dieser Gesichtsausdruck ist eine Haltung wie auch eine Geste (Mudra). Ohne diese Haltung – Haltung ist immer etwas Inneres und etwas Äußeres – oder diese Geste – eine Mudra kann in einer Handhaltung aber auch in einem Gesichtsausdruck bestehen (siehe Shambhavi Mudra) – wäre es kein Tanz. Der Gesichtsausdruck spiegelt die liebevolle Zufriedenheit und höchste Freude (Ananda) des schöpferischen Bewusstseins wider. Ananda ist die eigentliche Ursache und Grundlage der gesamten Schöpfung. Ohne Freude ist kein Tanz – welcher Art auch immer – perfekt. 

 

(2. Teil folgt demnächst......)