Spanda - Klangmutter des Universums

25.03.2014

 

Spanda – Klang-Mutter des Universums

 

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

 

Dasselbe  war im Anfang bei Gott.

 

Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht,

 

und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.

 

 

- Johannes 1.1-3 -

 

Tief in ihrem Inneren erfuhren die großen Seher und Weisen bereits vor Urzeiten im Verlauf ihrer Meditationen dasjenige, was „die Welt im Innersten zusammen hält", wie es in Goethes Faust heißt - das Klang- oder Schwingungs-Gewebe, die Klang-Matrix, aus der alles in dieser Welt besteht. Dieses Klang- oder Schwingungs-Gewebe wird im „Yoga von Kashmir" Spanda genannt, die Schwingung der höchsten Realität, die Matrix allen Lebens in dieser Welt.

Das grundlegende Werk des „Yoga von Kashmir“, das den Spanda erörtert, nennt sich Spanda Karika, „Verse über die Schwingung“. Diese wurden verfasst von dem Weisen und Philosophen Kallata Bhatta (ca. 850-900 n. Chr.) Nach traditioneller Auffassung erhielt Kallata diese Verse - eigentlich ein Kommentar zu den berühmten Shiva Sutras, dem elementarsten aller Werke des „Yoga von Kashmir“ - von seinem Meister, dem großen kashmirischen Philosophen Vasuguptacharya.

Der Sanskrit-Begriff Spanda entzieht sich einer Übersetzung ins Deutsche mit nur einem entsprechenden Wort. Allzu vielschichtig in seiner Bedeutung ist dieser Begriff. Spanda ist die Dynamik, das Pulsieren des Höchsten Bewusstseins, das im „Yoga von Kashmir“ Shiva genannt wird. Spanda ist die Schwingungsenergie, die in jedem Augenblick den Wunsch und die unendlichen Möglichkeiten hat, alles im Universum zu erschaffen oder aufzulösen – indem sie sich ausdehnt oder zusammenzieht. Diese pulsierende Bewegung ereignet sich jedoch nicht als etwas jenseits oder getrennt vom Höchsten Bewusstsein, sondern es geschieht im Inneren des Höchsten Bewusstseins – im Inneren Shivas. Das hierzu passende Bild, das die Dichter-Heiligen und Mystiker in diesem Zusammenhang häufig gebrauchten, ist ein unendlicher Ozean, der – ekstatisch und glucksend vor Lachen – auf- und abwogt, dabei große und kleine Wellen erzeugt und sie wieder in sich aufnimmt. 

Doch damit nicht genug. Spanda ist auch die Dualität als Grundlage allen Seins: Leben und Tod, Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Freude und Leid, Auf- und Abwärtsbewegung. Spanda erfahren wir in jedem Moment unseres Lebens. Zum Beispiel wenn wir uns in diesem Augenblick einmal auf unseren Atem konzentrieren und das Ein- und Ausströmen spüren....

Auch hinter der rhythmischen Bewegung unseres Atems steckt Spanda. Spanda ist dieser fortwährende Impuls des Universums, Veränderung herbeizuführen, der Wechsel von einem Zustand in den anderen. Deshalb sind beispielsweise Leben und Tod nur verschiedene Zustände ein und desselben kreativen Bewusstseins. Alles, was wir erleben – einschließlich uns selbst – ist das Werk der Klang-Mutter oder Spanda-Shakti. 

Der Sanskrit-Begriff Spanda geht auf eine indo-europäische Sprachwurzel zurück, auf der das lateinische Wort ex-pandere, „ausdehnen“ beruht und woraus unser deutsches Wort expandieren oder das englische Wort „to expand“ entstand. Was einem dabei sogleich in den Sinn kommt, ist ein anderes Wort, das Ähnliches zum Ausdruck bringt, und das uns einen weiteren Aspekt von Spanda verdeutlicht: Evolution, Entwicklung. Die Entwicklung des Universums aus der uranfänglichen explosionsartigen Schwingung, der sogenannte Urknall (Big Bang) und das nun fortgesetzte Auseinanderstreben von Galaxien und Sternensystemen. Aber auch unsere individuelle Evolution – eventuell von einem Einzeller vor vielen Millionen Jahren, über eine nahezu unendliche Anzahl von Entwicklungsstufen, hin zu einem Menschen, der vielleicht eben gerade dabei ist, sich wieder zum unendlichen göttlichen Bewusstsein auszudehnen – all das ist Spanda.

Alles geschieht auf der Grundlage dieses höchsten Pulsierens, vergleichbar vielleicht mit einem Tanz, einem Reigen, bei dem sich Shiva und Shakti trennen und wieder zusammen kommen. Spanda, der unendliche Seinszustand, der allem zugrunde liegt, ist also nicht statisch, nicht still, – wie ein großer, unbeweglicher Berg. Shiva, das unendliche Bewusstsein sei – so heißt es in den Spanda Karikas stattdessen – ein unendliches ICH, das, leuchtend, pulsierend, fließend, höchst lebendig, sich seiner selbst bewusst ist. Spanda ist Seine Shakti, die Ihm unablässig eine Bühne mit dazugehörigem, ständig wechselndem Schauspiel erschafft, das Er genießt – obgleich Er davon in keiner Weise verschieden oder getrennt ist.

Das klingt paradox? Ist es auch. Aber nicht weniger paradox ist die Tatsache, dass sich alle Schauspieler auf dieser Bühne – wir – in der Rolle eines werdenden und vergehenden Wesens verloren haben – obgleich wir jeden Augenblick aufstehen und gehen könnten, als das, was wir in Wirklichkeit sind – als unendliches Bewusstsein. Denn Shiva ist unsere wahre Identität... Shivo'ham - Ich bin Shiva...

 

(Fortsetzung folgt...)