Kriya – Wenn die Göttin des Universums in Dir zu tanzen beginnt -1 (4)

25.07.2014


Kriya – Wenn die Göttin des Universums in Dir zu tanzen beginnt -1

 

Teil1 - Kriyavati

In dieser vierteiligen Blogbeitrags-Reihe geht es um die bei Kundalini-Yogis auftretenden – und vielfach dokumentierten – Erfahrungen beziehungsweise Begleiterscheinungen im Zusammenhang mit der Erweckung und Entfaltung von Kundalini-Shakti. In den klassischen, Jahrhunderte alten Kundalini-Tradionen ist diesbezüglich von insgesamt vier verschiedenen Typen oder Klassen die Rede – Kriyavati, Varnamayi, Kalatma, Vedhamayi. Daher habe ich mich entschlossen, nach einer kleinen Einführung in die Thematik, jedem dieser Typen oder Klassen jeweils einen Beitrag zu widmen. Der hier nachfolgende Text besteht in Auszügen aus meinem „Großen Kundalini-Buch – Kundalini Erfahrungen“ (Kapitel 10 „Die Entfaltung“).

Kriya (sprich Kriyaa) ist ein im Kundalini-Yoga sehr wichtiger Terminus. Wörtlich bedeutet er „Handlung, Tat“ und bezieht sich generell auf alle physischen und psychischen Auswirkungen und Erfahrungen, die auf Kundalinis „Arbeit“ in uns zurückgeht. Während der Reinigungsprozesse durch die Kundalini, führt die Beseitigung von grobstofflichen und feinstofflichen Blockaden zu spontanen und teilweise sehr heftigen Reaktionen, die sich als Emotionen, Körperbewegungen, Körperempfindungen zeigen. Sie sind sozusagen ein Nebenprodukt des Entfaltungsprozesses der Kundalini. Jnaneshvar, der tantrische Mystiker und große Guru der Nathas, beschreibt in Jnaneshvari (6. 211-216, 219-221, 224) die Kriya-Erfahrung der Yogis folgendermaßen: 

„Dann erscheinen die Zeichen der Yoga-Erfahrung außen im Körper, und innerlich stellt der Geist/Verstand seine Funktion ein. Gedankentätigkeit flaut ab, mentale Energie lässt nach und Körper und Geist finden Ruhe. Hunger ist vergessen und Schlaf verschwindet. Sogar die Erinnerung davon verliert sich. Keine Spur [davon] bleibt zurück. Die sich abwärts bewegende Lebenskraft, die im Körper eingeschlossen ist, kehrt zurück. Zusammengedrückt werdend beginnt sie sich [wieder] auszudehnen. Indem sie immer stärker aufgewühlt wird in dem freien Raum darüber, poltert und kämpft sie gegen den Solar Plexus. Wenn der Kampf nachlässt, erzittert der ganze Körper bis ins Mark. Auf diese Weise werden die [feinstofflichen] Verunreinigungen aus der Kindheit hinausgeworfen.  . . . Der Suchende sollte sich nicht gestatten, vor diesen Dingen Angst zu haben. Sie (Kundalini-Energie) offenbart und beseitigt Krankheiten und bringt die Elemente ‚Erde’ und ‚Wasser’ in Wallung. Oh Arjuna, die Hitze, die durch die Praxis dieser [Yoga-]Übung[1] erzeugt wird, erweckt die Kraft/Macht namens Kundalini."

Auch Swami Shivananda schreibt im Zusammenhang mit den Auswirkungen der erwachten Kundalini von einem „schlimmen“ Zucken in Händen, Beinen oder auch dem gesamten Körper, das durch die „neuen pranischen Einflüsse“ ausgelöst werde. Darüber hinaus erwähnt er, dass durch die Macht der Kundalini die Nadis gereinigt und hierdurch sogar völlig neue Nervenbahnen gebildet würden. Nach seiner Auffassung rührt dass Zucken während der Meditation daher, dass während einer bestimmten Phase des Gesamtablaufs Prana ins Gehirn gelange.[2]

Natürlich finden sich auch in den alten  Originalwerken, in den Tantras und anderen tantrischen Werken, wie den Yoga-Upanishaden, Hinweise auf das Phänomen der Kriyas. In Kularnava Tantra 14. 64 ist von sechs Zuständen bzw. Erfahrungen die Rede, in die man nach der Shaktipat-Diksha gelangen kann, hierzu gehören u.a. Ekstase, Zittern, heftiges Schütteln, usw.  Hier ein weiteres Beispiel aus der Yogashikha Upanishad (6. 28):

„Die Shakti wird erweckt durch Pranayama oder durch die Gnade der Kraft/Macht des Guru. Angetrieben durch die Atma-Shakti wenn der Prana angeregt und im Muladhara-Chakra aufgenommen wird, beginnt der Körper des Suchenden zu zittern, und er beginnt vor Freude zu tanzen.“

Nach dem berühmten Kundalini-Meister Swami Vishnu Tirtha sind diese Auswirkungen der erwachten Kundalini in vier Klassen zu unterteilen, über die er in seinen Shaktipat-Sutras (2.16) schreibt:

„Gemäß ihrer Manifestation wird Kundalini als Kriyavati, Varnamayi, Kalatma und Vedhamayi erachtet.“[3]

Kriyavati (sprich Kriyaavatii) bezieht sich auf die Auswirkungen der Kundalini auf der körperlichen Ebene. Konkret bedeutet das, dass die betreffende Person spontan Haltungen oder Übungen aus dem Hatha Yoga ausführt. Allerdings nicht vorsätzlich, sonder, unter dem Einfluss der sich entfaltenden Kraft, völlig spontan und intuitiv. Häufig verstehen die Betreffenden die Bedeutung dessen, was sie da tun, überhaupt nicht und wären im „normalen“ Zustand niemals in der Lage Derartiges durchzuführen. Einige dieser teilweise sehr komplizierten Bewegungen, Haltungen oder Atemübungen sind in keinem Yoga-Werk zu finden, doch in jedem Fall sind sie reinigend und heilsam. Was da geschieht ist das Werk Kundalinis. Und die betroffenen Personen nehmen sehr deutlich wahr, dass sie in diesem Moment nicht die Handelnden sind, oder wie Bonnie Greenwell schreibt:

„Es fühlt sich an, als führe der Körper, gewissermaßen am Bewusstsein vorbei, eine zielgerichtete, fließende Bewegung aus, die einen in eine bestimmte Gestalt presst und dreht.“[4]

Eine ähnliche Erklärung für diese erstaunlichen Vorgänge und den darauf zurückgehenden  Bewusstseinszustand, der nichts mit Einbildung oder Autosuggestion zu tun hat, findet man auch bei Vishnu Tirtha:

„Die automatische Vollführung der Übungen durch die Kraft der erweckten Kundalini in systematischer Weise trennt den Geist/Verstand vom Nervensystem, und der Geist/Verstand, auf diese Weise befreit von der Nervenaktivität, agiert für diesen Zeitraum als stiller Beobachter; das gesamte System ist in dieser Zeit autonom.  . . . “[5]

Viele solcher Kriya-Erlebnisse, auch bei Yoga-Praktizierenden aus westlichen Ländern, wurden in den letzten Jahren dokumentiert, hier ein besonders anschauliches Beispiel:

„David war vierundzwanzig Jahre alt, New Yorker und durch Arthrose vollständig verkrüppelt. Seine Gelenke hatten sich stark vergrößert, er musste spezielle Schuhe tragen, konnte nur am Stock gehen und stand immer unter starken Schmerzmitteln. Er hatte sich jeder bekannten Behandlungsmethode unterzogen, ohne Erfolg. Nach seiner Shaktipat-Erfahrung verbesserte sich sein Zustand zusehends. Als er dann ein paar Monate später an einer Einweihung bei Baba [Swami Muktananda Paramahamsa] in Oakland teilnahm, setzte er sich in den Lotus-Sitz – was ihm normalerweise nicht möglich gewesen wäre – begann mit der Bhastrika-Atmung und fing an – ohne dass er es wollte – in großen Froschsprüngen vom Boden hoch zu hüpfen. Die Leute, die dabei waren, erzählten, dass sein Körper 18 bis 20 Inches [ca. 45-50 cm] über dem Boden war. Man konnte laut krachende Geräusche hören. Diese heftigen Bewegungen dauerten mehrere Stunden, und nach diesem Erlebnis war er geheilt, seine Gelenke waren wieder normal.“[6]

Die im höchsten Maße intelligente Kundalini weiß nicht nur, was die betreffende Person benötigt, um auf allen Ebenen geheilt und damit heil, im Sinne von vollkommen, zu werden. Sie kennt natürlich auch die individuelle Belastbarkeit und „weiß“ daher, wieweit sie jeweils gehen kann. Mit der in diesem Zusammenhang geäußerten Vermutung, dass die Yoga-Haltungen (Asana), wie wir sie aus den einschlägigen Werken kennen, ursprünglich aus solchen spontanen Bewegungen, die die Kundalini-Meister an sich entdeckt haben [um sie später zu systematisieren und an ihre Schüler weiter zu geben], entstanden sein könnten, steht Bonnie Greenwell nicht alleine.[7] Nach Swami Vishnu Tirtha führen genau diejenigen Hatha-Yoga Praktiken zur Erweckung der Kundalini, die den Bewegungen und Haltungen entsprechen, welche durch die erweckte Kundalini spontan hervorgerufen werden.[8]

Auch Greenwells These, dass wir in solchen außergewöhnlichen Momenten Zugang haben zu einem vererbten, individuellen oder kollektiven Erfahrungspool – man ist unwillkürlich an Rupert Sheldrakes „morphogenetische Felder“ erinnert – aus vergangenen Leben, entbehren nicht eines gewissen Reizes.[9] Genau das wäre aus meiner Sicht eine mögliche Erklärung dafür, dass die Erfahrungsdichte, bzw. Häufigkeit der Kundalini-Erfahrungen in den letzten Jahren so eklatant zugenommen hat. Der  stetig wachsende Pool an derartigen, höchst spirituellen Erfahrungen stellt ein Potential dar, dass ja im Prinzip frei verfügbar ist, wodurch es immer mehr Menschen immer leichter möglich ist, in den Bereich solcher Erfahrungen vorzudringen. Was jedoch, wie gesagt, nicht bedeutet, dass wir irgendetwas geschenkt bekämen. Jeder, der solche Erfahrungen macht, hat sie sich, in welcher Form auch immer, „erarbeitet“, und ist, um bis dahin zu gelangen, einen sehr weiten Weg gegangen.

 

Der zweite Teil über die Varnamayi-Auswirkungen folgt demnächst ...

 

 


[1] Bezieht sich auf die von Jnaneshvar zuvor beschriebenen Verschlusspraktiken Mula-Bandha, Jalandhara-Bandha und Uddiyana-Bandha.

[2] Swami Shivananda, Spiritual Experiences (Amrita Anubhava). Himalayas, India 1969, S. 69.

[3] Swami Vishnu Tirtha, Devatama Shakti, Rishikesh 1993, S. 79.

[4] B. Greenwell, Kundalini, Erfahrungen mit der geheimnisvollen Urkraft der Erleuchtung. Bergisch Gladbach 1998, S. 56.

[5] Swami Vishnu Tirtha, Devatma Shakti, S. 82.

[6] Joseph Chilton Pearce, Die heilende Kraft, S. 213.

[7] B. Greenwell, Kundalini, S. 57.

[8] Swami Vishnu Tirtha, Devatma Shakti, S. 83.

[9] B. Greenwell, Kundalini, S. 57.